Vor dem Frost
stürzte er in den Saal. Das einzige, was fehlte, war ein Brüllen.
Von einem Platz in der Nähe der Tür verfolgte Linda die Pressekonferenz. Auf dem kleinen Podium am anderen Ende des Raums saßen Lisa Holgersson, Svartman und ihr Vater. Er wirkte so angespannt, daß Linda fürchtete, er würde Amok laufen, falls eine Frage gestellt würde, auf die er nicht antworten wollte. Sie wußte, daß ihn am meisten der Umstand ärgerte, Zeit zu verlieren, die besser anders genutzt werden könnte. Doch Martinsson, der neben ihr in der Tür stand, sagte, Pressekonferenzen könnten für eine Ermittlung sehr wohl von großem Nutzen sein. Was durch die Medien verbreitet wurde, führte unter Umständen zum entscheidenden Hinweis aus der Bevölkerung.
Doch Linda blieb es erspart, ihren Vater die Selbstbeherrschung verlieren zu sehen. Er leitete die Pressekonferenz mit einer Art
dumpfer
Anwesenheit. Ihr fiel kein besseres Wort ein; sie sah ihn auf dem kleinen Podium mit einem dumpfen Ernst auftreten, gegen den niemand anzugehen wagte.
Er sprach ausschließlich von Zebra. Fotos wurden verteilt, ein Dia wurde an die Wand geworfen. Wo war sie? Hatte jemand sie gesehen? Das war das Entscheidende. Er vermied es geschickt, sich zu ausführlichen Erklärungen verleiten zu lassen. Er antwortete kurz, wies Fragen ab, die er nicht beantworten wollte, und sagte nur das Nötigste. »Es bestehen Zusammenhänge, die wir noch nicht verstehen«, sagte er am Schluß. »Die Kirchenbrände, die beiden toten Frauen, die verbrannten Tiere. Wir wissen nicht einmal, ob es Verbindungen gibt. Aber wir sind sicher, daß die junge Frau, die wir jetzt suchen, in Gefahr ist.«
Welche Gefahr? Wer ist gefährlich? Mußte man nicht etwas mehr sagen können? Die Fragen der unzufriedenen Journalisten schwirrten durch den Raum. Linda sah, wie er einen unsichtbaren Schild vor sich hielt und die Fragen unbeantwortet daran abprallen ließ. Lisa Holgersson sagte während der gesamten Pressekonferenz kein Wort, sie erteilte lediglich den fragenden Journalisten das Wort. Svartman soufflierte ihm Details, die ihm im Augenblick nicht einfielen.
Plötzlich war es vorüber. Er stand auf, als hielte er es nicht mehr aus, nickte und verließ den Saal. Die Journalisten warfen ihm Fragen nach, die er von sich abschüttelte. Danach verließ er das Präsidium ohne ein Wort.
»Das macht er immer«, sagte Martinsson. »Er dreht draußen eine Runde. Geht sozusagen Gassi mit sich selbst. Dann kommt er zurück.«
Zwanzig Minuten später stürmte er durch den Korridor. Im Eßraum gab es Pizza, die ein Bote geliefert hatte. Er trieb alle an, sich zu beeilen, schnauzte eine Bürokraft an, die irgendwelche Papiere, die er angefordert hatte, noch nicht beschaffft hatte, und knallte die Tür wieder zu.
Stefan Lindman, der neben Linda saß, beugte sich zu ihr und flüsterte: »Eines Tages, glaube ich, wird er die Tür abschließen und den Schlüssel wegwerfen. Wir werden hier drinnen in Steingötzen verwandelt. Und in tausend Jahren gräbt man uns wieder aus.«
Ann-Britt Höglund war außer Atem, als sie von ihrem Blitzeinsatz in Kopenhagen zurückkam.
»Ich habe diesen Mann getroffen, Ulrik Larsen«, sagte sie und schob Linda eine Fotografie zu.
Sie erkannte ihn sofort, es war der Mann, der ihr verboten hatte, nach Torgeir Langaas zu suchen, und sie dann niedergeschlagen hatte.
»Also, er hat sein Geständnis zurückgezogen«, fuhr Ann-Britt Höglund fort. »Von einem Raubüberfall ist jetzt nicht mehr die Rede. Daß er Linda bedroht haben soll, streitet er glatt ab. Aber er weigert sich, eine andere Erklärung zu geben.
Anscheinend ist er ein umstrittener Pastor. Seine Predigten sind in letzter Zeit immer ätzender geworden.«
Linda sah, wie der Arm ihres Vaters vorschoß und Ann-Britt unterbrach.
»Das ist wichtig. Was heißt ätzender? Was heißt in letzter Zeit?«
Ann-Britt Höglund blätterte in einem Notizblock.
»›In letzter Zeit‹ habe ich verstanden als in diesem Jahr. Mit ›ätzend‹ ist gemeint, daß er angefangen hat, vom Jüngsten Gericht zu reden, von der Krise des Christentums, der Gottlosigkeit und der Strafe, die alle Sünder treffen wird. Er hat von seiner eigenen Gemeinde wie vom Bischof in Gentofte einen Rüffel bekommen. Aber er weigert sich, seine Predigten zu ändern.«
»Ich nehme an, du hast die wichtigste von allen Fragen gestellt?«
Linda fragte sich, was er wohl meinte.
Als Ann-Britt antwortete, fühlte sie sich dumm. »Was er von
Weitere Kostenlose Bücher