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Vor dem Frost

Vor dem Frost

Titel: Vor dem Frost Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Mankell
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Vespa versteckt war. Linda beobachtete ihn, versuchte, seinen Gedanken zu folgen.
    Plötzlich sah er sie an. »Welche Frage muß man als erstes beantworten?«
    »Ob sie die Vespa versteckt oder sie nur dahin gestellt hat, damit sie nicht gestohlen würde.«
    Er nickte. »Es gibt natürlich noch eine Alternative.«
    Linda verstand. Sie hätte sofort daran denken müssen. »Daß jemand anders sie versteckt hat.«
    Er nickte wieder.
    Ein Hund kam auf einem der Waldpfade gelaufen. Er war weiß mit schwarzen Punkten. Linda kam nicht auf den Namen der Rasse. Kurz darauf kam noch ein solcher Hund, dahinter noch einer, dicht gefolgt von einer Frau in Regenzeug, die sich mit hastigen Schritten näherte, ihre Hunde zu sich rief und sie anleinte, als sie Linda und ihren Vater erblickte. Sie war in den Vierzigern, groß, blond, schön. Linda sah, wie ihr Vater seine übliche, instinktive Verwandlung durchmachte, wenn ihm eine schöne Frau über den Weg lief. Er streckte den Rücken, hob den Kopf, um den Hals weniger faltig erscheinen zu lassen, und zog den Bauch ein.
    »Darf ich Sie etwas fragen«, sagte er. »Ich heiße Wallander und bin von der Polizei in Ystad.«
    Die Frau musterte ihn mißtrauisch. »Kann ich Ihren Ausweis sehen?«
    Er suchte nach seiner Brieftasche und hielt ihr seinen Ausweis hin, den sie sorgfältig studierte.
    »Ist etwas passiert?«
    »Nein. Gehen Sie öfter hier mit Ihren Hunden?«
    »Zweimal am Tag.«
    »Das heißt, Sie kennen die Wege hier?«
    »Ziemlich gut. Wieso?«
    Er überhörte ihre Frage. »Treffen Sie häufig Menschen hier?«
    »Nicht mehr, wenn es Herbst wird. Im Sommer und im Frühjahr schon. Aber jetzt sind es bald nur noch ein paar Hundebesitzer, die mit ihren Tieren in diese Gegend kommen. Das ist schön. Man kann die Hunde von der Leine lassen.«
    »Aber sie müssen doch angeleint sein. Das steht doch da auf dem Schild.«
    Er zeigte in Richtung des Schilds. Sie sah ihn fragend an. »Sind Sie deswegen hier? Um einsame Frauen mit nichtangeleinten Hunden einzufangen?«
    »Nein. Ich wollte Ihnen etwas zeigen.«
    Die Hunde zerrten an ihren Leinen. Wallander bog das Buschwerk zur Seite, das die Vespa verbarg. »Haben Sie die schon einmal gesehen? Sie gehört einer Frau um die Sechzig namens Birgitta Medberg.«
    Die Hunde wollten vor und schnüffeln. Doch die Frau war stark und hielt sie zurück. Ihre Antwort kam ohne jedes Zögern.
    »Ja. Ich habe die Frau und auch die Vespa gesehen. Mehrfach.«
    »Und wann zuletzt?«
    Sie dachte nach. »Gestern.«
    Er warf Linda, die neben ihm stand und zuhörte, einen Blick zu. »Sind Sie sicher?«
    »Nein. Ich
glaube,
daß es gestern war.«
    »Wie kommt es, daß Sie sich nicht sicher sind?«
    »Ich habe sie in der letzten Zeit oft gesehen.«
    »Und seit wann?«
    Wieder überlegte sie, bis sie antwortete. »Seit Juli. Vielleicht auch die letzte Woche im Juni schon. Da sah ich sie zum erstenmal. Sie ging auf einem Pfad auf der anderen Seite des Sees. Wir sind sogar stehengeblieben und haben uns unterhalten. Sie erzählte, daß sie alte überwachsene Pfade auf dem Land von Rannesholm aufnehme. Sie hatte viel Interessantes zu erzählen. Weder ich noch mein Mann wußten, daß ein alter Pilgerpfad durch unser Land verläuft. Wir wohnen im Schloß«, fügte sie hinzu. »Mein Mann ist Börsenmakler. Ich bin Anita Tademan.«
    Sie blickte auf die Vespa zwischen den Büschen. Ihr Gesicht wurde plötzlich ernst. »Was ist denn passiert?«
    »Wir wissen es nicht. Ich habe noch eine letzte Frage, die wichtig ist. Als Sie sie zuletzt gesehen haben, wo war das, auf welchem Pfad?«
    Sie zeigte über die Schulter zurück. »Auf dem Weg, auf dem ich eben gekommen bin. Wenn es stark regnet, kann man dort am besten gehen. Sie hatte einen ganz überwucherten Pfad gefunden, der ungefähr fünfhundert Meter in den Wald hineinführt. Bei einer umgestürzten Buche. Da habe ich sie gesehen.«
    »Dann will ich Sie nicht weiter aufhalten. Anita Tademan? Richtig?«
    »Richtig. Was ist denn passiert?«
    »Möglicherweise ist Birgitta Medberg verschwunden. Aber sicher ist es nicht.«
    »Wie unangenehm. Eine so freundliche Frau.«
    »War sie immer allein?« fragte Linda.
    Sie hatte sich nicht vorbereitet, die Frage rutschte ihr einfach so heraus, bevor sie sich bremsen konnte. Ihr Vater blickte sie erstaunt an, wurde aber nicht ärgerlich.
    »Ich habe sie nie in Gesellschaft gesehen«, erwiderte sie. »Weder direkt noch indirekt.«
    »Was meinen Sie damit?«
    Diesmal hatte Lindas Vater

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