Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Vor dem Frost

Vor dem Frost

Titel: Vor dem Frost Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Mankell
Vom Netzwerk:
sei Einbildung, daß ihre Erinnerung ihr einen Streich spielte. Doch dann erkannte sie, daß sie sich nicht irrte. Am 13. August schrieb Anna:
Brief von Birgitta Medberg.
    Linda las den Text noch einmal, diesmal am Fenster stehend, wo die Sonne auf die Tagebuchseite fiel. Birgitta Medberg war kein gewöhnlicher Name. Linda legte das Tagebuch auf die Fensterbank und schlug das Telefonbuch auf. Sie brauchte nur zwei Minuten, um festzustellen, daß es in dem Teil von Schonen, den das Telefonbuch abdeckte, nur eine Birgitta Medberg gab. Sie rief die Auskunft an und fragte, wie viele Birgitta Medbergs es im ganzen Land gab. Es waren nur wenige. Und nur eine Kulturgeographin in Schonen.
    Linda las weiter, jetzt aufgeregt und ungeduldig, bis zu der letzten, unbegreiflichen Aufzeichnung:
Meineide, Fatima.
Aber nichts mehr über Birgitta Medberg.
    Ein Brief, dachte sie. Anna verschwindet. Ein paar Wochen zuvor hat sie diesen Brief von Birgitta Medberg bekommen, die auch verschwunden ist. Und inmitten des Ganzen befindet sich auch der Vater, den Anna nach vierundzwanzig Jahren auf einer Straße in Malmö wiederentdeckt zu haben glaubt.
    Linda durchsuchte die Wohnung. Irgendwo mußte der Brief sein. Sie betete nicht mehr um Vergebung, als sie Annas sämtliche Schubladen durchwühlte. Aber der Brief war nicht zu finden. Sie brauchte drei Stunden, um die Wohnung zu durchsuchen. Sie fand andere Briefe, doch keinen von Birgitta Medberg.
    Als Linda die Wohnung verließ, nahm sie Annas Wagenschlüssel mit. Sie fuhr hinunter ins Hafencafe, aß ein belegtes Brot und trank einen Tee. Ein Mann in ihrem Alter lächelte sie an, als sie das Cafe verließ. Er trug einen ölverschmierten Overall. Sie brauchte einige Zeit, um darauf zu kommen, daß es einer ihrer Klassenkameraden aus der Oberstufe war. Sie begrüßten sich. Linda suchte in ihrer Erinnerung vergeblich nach seinem Namen.
    Er streckte ihr die Hand hin, nachdem er sie abgewischt hatte.
    »Ich segle«, sagte er. »Ein altes Kosterboot, dessen Maschine manchmal streikt. Deshalb das ganze Öl.«
    »Ich habe dich sofort wiedererkannt«, sagte sie. »Ich bin nach Ystad zurückgekommen.«
    »Um was zu tun?«
    Linda zögerte. Sie fragte sich, warum, erinnerte sich aber an die Geschichten, die ihr Vater erzählt hatte, von Situationen im Leben, in denen er es vorgezogen hatte, sich mit einem anderen Beruf zu präsentieren als dem des Polizisten.
Alle Polizisten haben eine Geheimtür,
hatte er gesagt.
Man
wählt sich eine andere Identität, in die man schlüpfen kann. Martinsson ist Immobilienmakler, und Svedberg, der nicht mehr lebt, sagte meistens, er sei Baggerführer und selbständiger Unternehmer. Ich bin mit meinem zweiten Ich Geschäftsführer einer nicht existierenden Bowlingbahn in Eslöv.
    »Ich habe eine Polizeiausbildung gemacht«, antwortete Linda.
    Im gleichen Moment fiel ihr sein Name wieder ein. Er hieß Torbjörn. Er sah sie an und lächelte. »Wolltest du nicht Möbelpolsterin werden?«
    »Ja, schon. Aber ich habe es mir dann anders überlegt.«
    Sie machte Anstalten zu gehen.
    Er streckte ihr die Hand hin. »Ystad ist klein. Wir sehen uns bestimmt mal wieder.«
    Linda beeilte sich, zum Wagen zurückzukommen, den sie auf der Rückseite des alten Theaters geparkt hatte. Was denken sie sich wohl? fragte sie sich. Warum kommt Linda als Bulle hierher zurück?
    Sie fuhr nach Skurup, parkte auf dem Marktplatz und ging die Straße zu dem Haus hinauf, in dem Birgitta Medberg wohnte. Im Treppenhaus hing Essensgeruch. Sie klingelte an der Wohnungstür, niemand kam. Sie horchte und rief durch den Briefschlitz. Als sie sich vergewissert hatte, daß niemand zu Hause war, holte sie ihre Dietriche heraus. Ich beginne meine Polizeikarriere mit dem Aufbrechen von Türen, dachte sie und merkte, wie ihr der Schweiß ausbrach. Dann glitt sie hinein. Ihr Herz pochte. Sie lauschte und ging leise durch die Wohnung. Sie durchsuchte sie und fürchtete die ganze Zeit, es könnte jemand kommen. Wonach sie suchte, wußte sie eigentlich nicht, nur etwas, was bestätigte, daß es einen Kontakt gegeben hatte, ein Verbindungsglied zwischen Anna und Birgitta Medberg.
    Sie wollte bereits aufgeben, als sie unter der grünen Schreibunterlage auf dem Schreibtisch ein Papier fand. Es war kein Brief, sondern ein Stück einer Landkarte. Die Fotokopie eines altertümlichen Meßtischblatts, auf der Text und Gemarkungsgrenzen schlecht zu sehen waren.
    Linda knipste die Schreibtischlampe an. Nur schwer konnte sie

Weitere Kostenlose Bücher