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Vor dem Frost

Vor dem Frost

Titel: Vor dem Frost Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Mankell
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hörte, wie hinter ihr die Tür zuschlug. Die ganze Expedition war ein Reinfall, dachte sie wütend. Das einzige, was sie geschafft hatte, war, sich selbst ihre Schwächen zu demonstrieren. Sie trat das Gartentor auf, es schlug gegen den Briefkasten, der am Zaun hing. Sie drehte sich um. Die Tür war geschlossen, kein Gesicht hinter einem der Fenster zu erkennen. Sie machte den Briefkasten auf. Ganz unten lagen zwei Briefe. Sie holte sie heraus. Der erste war an Margareta Olsson von einem Reisebüro in Göteborg. Der zweite hatte eine handgeschriebene Adresse. Er war an Anna. Linda zögerte, doch dann nahm sie den Brief mit ins Auto. Ich habe ihr Tagebuch gelesen, dachte sie. Jetzt mache ich ihre Briefe auf. Ich tue das, weil ich mir Sorgen mache, aus keinem anderen Grund. In dem Umschlag steckte ein zweimal gefaltetes Blatt. Als sie es auseinanderfaltete, fuhr sie zurück. Zwischen den Seiten lag eine gepreßte und getrocknete Spinne.
    Der Text war mit der Hand geschrieben, ohne Schlußformel und Unterschrift.
    Wir sind jetzt in dem neuen Haus, in Lestarp, hinter der Kirche, der erste Weg rechts, ein rotes Zeichen an einer alten Eiche, dahinter. Laß uns nie vergessen, daß Satan große Macht hat. Aber wir sehen einen anderen mächtigen Engel vom Himmel herabkommen, in eine Wolke gekleidet…
    Linda legte den Brief auf den Beifahrersitz. Der Gedanke, nach dem sie gesucht hatte, war aufgetaucht. Dafür zumindest konnte sie dem glotzenden Schachspieler dankbar sein. Alle außer Anna hatte er mit der Information über das, was sie taten, vorgestellt. Aber Anna war nur Anna. Und sie studierte Medizin, um Ärztin zu werden. Aber was hatte sie noch gesagt in dem Gespräch, als sie Linda erzählte, sie habe ihren Vater auf der Straße gesehen? Sie hatte jemanden gesehen, der umgefallen war, jemanden, der Hilfe brauchte. Sie ertrage keine Unfälle und kein Blut, hatte sie gesagt. Eine seltsame Voraussetzung, um Ärztin zu werden, dachte Linda. Sie sah auf den Brief neben sich. Was bedeutete das?
Wir sehen einen anderen mächtigen Engel vom Himmel herabkommen, in eine Wolke gekleidet.
    Das Sonnenlicht war scharf; obwohl es Anfang September war, war es einer der wärmsten Tage dieses Sommers. Sie nahm eine Karte von Schonen aus dem Handschuhfach. Lestarp lag zwischen Lund und Sjöbo. Linda klappte die Sonnenblende herunter. Es ist zu kindisch, dachte sie. Briefe mit einer toten und getrockneten Spinne, die herausfällt, wie wenn man einen Lampenschirm leert. Aber Anna ist weg. Die kindische Vorstellung existiert unmittelbar neben der Wirklichkeit. Dem Pfefferkuchenhaus der Wirklichkeit. Mit gefalteten Händen und einem abgeschlagenen Kopf.
    Es war, als erkenne Linda erst jetzt, was sie in der Hütte im Wald gesehen hatte. Und Anna war ein Mensch, den sie nicht mehr klar und deutlich vor sich sehen konnte. Vielleicht studiert sie gar nicht Medizin, dachte sie. Es kommt mir so vor, als entdeckte ich heute, am wärmsten Tag dieses Sommers, daß ich nichts von Anna Westin weiß. Sie wird zu einer eigentümlichen, nebelhaften Gestalt. Oder vielleicht ist sie es, die in eine Wolke gekleidet ist.
    Sie kam zu keinem Entschluß. Sie fuhr einfach nach Lestarp. An diesem Tag stieg die Temperatur in Schonen fast bis auf dreißig Grad.
    Linda parkte vor der Kirche in Lestarp. Die Kirche war kürzlich restauriert worden. Die frischgestrichene Tür glänzte. Darüber hing eine schwarze Tafel mit goldfarbenem Rahmen, auf der zu lesen war, daß die Kirche im Jahre 1851 in der Regierungszeit König Oscars I. erbaut worden war. Linda hatte eine vage Erinnerung daran, daß ihr Großvater von seinem Großvater erzählt hatte, der im gleichen Jahr auf See ums Leben gekommen war. Linda versuchte sich zu erinnern, während sie im Kirchenvorraum nach einer Toilette suchte. Ihr Ururgroßvater war ertrunken, als auf einem Segelschiff das Ruder brach und das Schiff in einem schweren nordwestlichen Sturm auf die Reede von Skagen trieb. Die ganze Besatzung war umgekommen, die Leichen fand man, als der Sturm zwei Tage später abflaute. Ihr Ururgroßvater war in einem namenlosen Grab beerdigt worden. Sie ging die Treppe in die Krypta hinunter. Ihre Schritte hallten, und die Kühle erfrischte. Sie öffnete die Toilettentür und stellte sich plötzlich vor, daß Anna hinter der Tür stände und auf sie wartete. Doch die Toilette war leer. Sie erinnerte sich an das, was ihr Großvater gesagt hatte.
Mich interessieren nur die wichtigen Jahreszahlen, wie wenn

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