Vor dem Sturm (German Edition)
schnürt es mir die Kehle zu. Ich sehe sie vor mir. Medea steckt Jason Sachen zu, um ihm zu helfen: Mittel, die ihn unbesiegbar machen, Steine mit geheimen Nachrichten. Sie war eine Zauberin, konnte das Natürliche dem Unnatürlichen gefügig machen. Aber trotz all ihrer Macht biegt sie sich unter Jasons Hand wie eine junge Kiefer im Sturm; er bringt sie zum Einknicken. Ich kenne sie. Als ich aufblicke, steht Skeetah in der Tür und sieht aus, als würde er gleich in Tränen ausbrechen.
»Was ist los?«
Skeetah schüttelt den Kopf, und ich folge ihm.
Im Schuppen schwimmen die Welpen im Sand. Sie liegen auf dem Bauch, ihre Beine stehen ab wie kleine Zweige, die auf dem staubigen Strom auf und ab tanzen. Sie zucken und rollen herum. Sie sind still. Sie sind gähnende rosa Zungen. Alle außer einem paddeln auf China zu, packen ihren Bauch, wie wir am Fluss nach versunkenen Baumstämmen greifen. Sie haben Schwierigkeiten, ihre Zitzen zu erwischen, sie kneten ihren Bauch mit den Pfoten, wie wir mit den Füßen trampeln, wenn wir uns auf den glitschigen Stämmen zu halten versuchen. Alle außer einem paddeln und saugen.
Es ist der braun-weiße. Er ist der Schwimmer aus dem Comic, der Welpe, der bei der Geburt aussah wie Big Henry, wenn er ins Wasser springt. Er liegt mit dem Gesicht nach unten da. Sein Maul geht auf und zu, als wolle er den Schuppenboden fressen. Skeetahs Gesicht ist so nah an dem Welpen, dass das braun-weiße Fell flattert, wenn er spricht, und es aussieht, als bewege der Welpe sich.
»Heute Morgen ging es ihm noch gut. Hat getrunken und alles.«
»Wann hast du ihn so entdeckt?«, frage ich. Der Welpe dreht seinen Kopf zur Seite, und es sieht so aus, als wäre sein Genick gebrochen. Skeetah zuckt zurück. Der Schwimmer schnappt nach Luft.
»Vor ungefähr einer Stunde.«
»Vielleicht liegt es an China. Vielleicht ist ihre Milch schlecht für ihn oder so.«
»Ich glaub, er hat Parvo. Ich glaub, er hat es sich im Dreck geholt.«
Mein Nickerchen auf den Fliesen von heute Morgen drängt sich in meine Gedanken.
»Vielleicht ist er einfach krank, Skeet.«
»Und wenn es im Sand ist? Wenn die andern es sich auch geholt haben?«
Der Welpe schlägt mit einer Pfote auf den Boden.
»Vielleicht solltest du ihn einfach trinken lassen. Vielleicht hat er nicht genug Milch abgekriegt.«
Skeet nimmt den Welpen in eine Hand und legt ihn direkt neben China in den Sand. Sie senkt den Kopf, lauert wie eine Schlange. Als der Welpe wieder ruckartig den Kopf bewegt, knurrt sie. Es klingt wie Steine, die über harte Erde rumpeln. Der Welpe liegt still. Seine Augen sind noch nicht mal offen. Sie knurrt erneut, und er rollt auf die Seite.
»Hör auf damit, China.« Skeet atmet tief. »Fütter ihn.« Er schiebt den Welpen ein paar Zentimeter vor. Das Hundegesicht gräbt sich in den Sand.
Chinas Hals wird ruckartig länger, und sie bellt. Sie schlägt mit der Pfote. Ihre Zähne streifen den Welpen, der kurz die Beine ausstreckt und sie dann dicht anzieht.
»Skeet!«, rufe ich.
»Du Miststück!«, zischt er und guckt sie scharf an, verletzt. Er packt den Welpen, wickelt ihn in sein T-Shirt und lässt sich zurück auf seine gekreuzten Füße fallen. China ignoriert ihn und legt den Kopf auf ihre weißen, glänzenden Vorderbeine, die wie die Hälse von Reihern aussehen. Ihre Augenlider fallen zu, und sie sieht plötzlich erschöpft aus. Ihre Zitzen sind total geschwollen, und die Welpen ziehen an ihnen. Sie ist eine müde Göttin.
Sie ist mehrfache Mutter.
»Vielleicht will sie bloß die andern schützen. Sie weiß, wann es ernst ist, verstehst du?«
Skeetah hält den Welpen in der Hand wie einen Baseball. Er nickt.
»Na gut.« Die Käfer draußen singen, weil der Tag so hell ist, dass er golden erscheint. Daddy lässt den Motor des Traktors aufheulen; er zieht stapelweise Sperrholz über die Lichtung, er sammelt Holz aus allen Ecken des Pits zusammen, für den Sturm. Big Henry hat uns erzählt, bei einem seiner Cousins aus Germaine sei ein ganzer Wurf an Parvovirose gestorben; die Welpen hatten gerade die Augen aufgemacht, da starb der erste, und von da an hatte sein Cousin jeden Tag, wenn er nach hinten zur Hundehütte ging, einen toten Welpen gefunden, so klein und hart, dass er sich kaum vorstellen konnte, dass er mal am Leben gewesen war. »Kommst du heut Abend mit mir raus zum Campen?« Der Welpe liegt wie ein schwarzer Ball in Skeetahs schwarzem T-Shirt: still und rund. Skeetah schaut nicht auf seine Hände,
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