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Vor dem Sturm (German Edition)

Vor dem Sturm (German Edition)

Titel: Vor dem Sturm (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jesmyn Ward
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Skeetah, als Randall zwischen den Bäumen erscheint. Er federt beim Gehen, und es sieht aus, als würde die Dunkelheit unterhalb des Grüns ihm nach und nach seine Einzelteile zurückgeben: eine Brust, einen Bauch, Hüften, Arme und Beine. Zuletzt ein Gesicht. Junior ist eine Stimme hinter ihm; er reitet Huckepack, seine Füße baumeln vor Randalls Bauch, und seine Schuhsohlen hinterlassen weiße, pudrige Staubflecken auf Randalls T-Shirt.
    »Was erzählt Junior da, ihr wollt einen der Welpen ertränken?«
    Mich durchzuckt eine Welle von Übelkeit.
    »Keine Ahnung, wie er darauf kommt.«
    »Er sagt, ihr habt ihn in einen Eimer gesteckt.«
    »Der Welpe hat Parvo«, sage ich.
    »Sie wollten ihn in dem Eimer ertränken!« Randall hievt Junior hoch, als er das sagt, sodass ganz kurz ein Gesicht über Randalls Schulter erscheint.
    »Und wir hatten bestimmt nicht vor, ihn in irgendeinem Eimer zu ertränken«, sage ich.
    »Was wollt ihr denn mit ihm machen?«
    »Ihn hinten zur Grube bringen.«
    Randall lässt Junior los, und Junior klammert sich fest, bis ernicht mehr kann, bis seine Beine zu Nudeln werden und er an Randall herunterrutscht wie an einem Pfeiler. Wir drei sind still, schauen uns an, runzeln die Stirn.
    »Zieh Leine, Junior«, sagt Randall.
    »Aber Randall –«
    »Geh schon.«
    Junior verschränkt die Arme vor der Brust, seine Rippen sehen aus wie ein kleiner schwarz verbrannter Grillrost. Er muss sich ein Hemd anziehen.
    »Geh.«
    Juniors Augen glänzen. Als er wegläuft, machen seine Füße kleine klatschende Laute im Sand und hinterlassen Staubwölkchen. Skeetah nimmt den Eimer und seine Notration Essen, die er aus dem Haus gestohlen hat.
    »Du kannst das Ding nicht einfach umbringen«, sagt Randall.
    »Kann ich doch.«
    »Du kannst es gesund machen.«
    »Parvo kann man nicht gesund machen. Welpen überleben das nicht. Und wenn ich den hier nicht wegschaffe, kriegen die andern es auch. Und dann sterben alle. Meinst du, damit kommt Junior besser klar?«
    »Nein. Aber es muss irgendwie anders gehen.«
    »Tut’s aber nich.« Skeetah wirft sich die Tüte zusammen mit seinem Luftgewehr über die Schulter und nimmt den Eimer in seine zitternde andere Hand. »Mit Basketball kennst du dich aus, aber mit Hunden nicht.« Er geht weg. »Erzähl ihm irgendwas, keine Ahnung, was – aber der hier muss weg.«
    »Er’s noch zu klein, Esch.« Randalls Hände sehen reizlos aus ohne Basketball. Er sieht aus, als wisse er nicht, wohin mit ihnen.
    »Ich weiß«, sage ich. »Aber wir war’n auch klein.« Er weiß, von wem ich spreche.
    »Ich erwische ihn dauernd, wie er auf eine Tonne klettert unddurch die Ritzen späht, weil er Angst hat reinzugehen. Starrt die Welpen an. China fängt an zu knurren, und ich zieh ihn weg und spür, wie sein kleines Herz pocht. Und eine halbe Stunde später erwisch ich ihn schon wieder da oben.«
    Ich zucke die Achseln, hebe die Hände, als wolle ich ihm etwas geben, obwohl ich weiß, dass ich nichts habe. Ich trotte los in Richtung Grube, hinter Skeetah her, der gerade in den Schatten der Bäume eintaucht.
    »Komm schon!«, ruft Skeetah. Randall schlägt in die Luft, es sieht aus, als werfe er einen unsichtbaren Ball.
    »Scheiße«, flucht Randall. »Scheiße.«
    Das hat Skeetah gestohlen: Brot, ein Messer, Becher, eine Zwei-Liter-Flasche Fruchtpunsch, Chiliketchup, Geschirrspülmittel. Er stellt alles neben den Eimer und fegt den Dreck von zwei Betonblöcken, aus denen Randall und er einen Grillplatz gebaut haben, als wir noch kleiner waren. Der Metallrost ist rußig-schwarz, die Steine aschgrau verbrannt. Skeetahs Gewehr hängt an einem Riemen über seiner Schulter, und der Lauf stößt beim Gehen an seine Beine.
    »Wozu brauchen wir das denn?«, frage ich.
    Der Welpe im Eimer brummt. Er ist einsam.
    »Komm schon«, sagt Skeetah.
    Im Wald huschen Tiere von einem Schattental zum nächsten. Vögel flattern trillernd auf den einfallenden Sonnenstrahlen in die Höhe. Skeetah durchschreitet alles mit gerundeten Schultern. Vorgebeugt untersucht er den Boden. Ich gehe geräuschvoll hinter ihm her, meine Füße schleifen über die Kiefernnadeln. Ich hebe die Knie mit Schwung, versuche, die Füße leicht aufzusetzen, aber ich komme aus dem Gleichgewicht. Das, was einmal das Baby werden will, liegt in meinem Bauch wie eine Wasserbombe, gibt mir ein Gefühl, als würde ich gleich platzen. MeinGeheimnis macht mich tollpatschig. Skeetah bleibt stehen, kniet sich auf die Nadeln und die knisternden

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