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Vor dem Sturm (German Edition)

Vor dem Sturm (German Edition)

Titel: Vor dem Sturm (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jesmyn Ward
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sieht aus, wie ich mir die Scheibe hinter dem Brett vorstelle: von kantigen Linien durchzogen, in Einzelteile zerlegt, die auseinanderrutschen, mit schwarzen Rissen dazwischen. Seine Augen sehen feucht aus. »Scheiße.« Das Blut sammelt sich in den Mulden zwischen seinen Fingerknöcheln, läuft über und tropft durch die Finger auf den Boden. Er schaut mich an. »Ich würde das selbst mit Stemmeisen nicht schaffen.«
    »Du bist nicht Skeet«, sage ich. Meine Tränen schmecken wie rohe Austern.
    »Es muss gehen, Esch.«
    »Es ist zu dick.«
    »Wir müssen es versuchen.«
    Randall zieht ein Knie an die Brust, als wolle er sich eine Hose anziehen, und tritt dann mit der Hacke heftig in die Delle in der Mitte der Holzplatte. Das Glas dahinter klirrt. Er tritt noch einmal, und das Holz bricht auf; es klingt wie ein Schuss. Randall hält inne, und wir schauen uns beide erschrocken um,aber es erscheint kein alter Mann, der sein Gewehr wie eine Axt schwingt, auch keine Frau in pinkfarbenen Kleidern. Man hört nur die muhenden Kühe in der Scheune und den Wind, der durch die Blätter rauscht. Die heiße Luft ist so nass, dass sie Regen sein könnte.
    »Einmal noch«, sagt Randall und tritt erneut zu, setzt seine ganze Muskelkraft ein gegen den heißen Tag, gegen das versiegelte Pfefferkuchenhaus; das Brett bricht in zwei Teile, fällt aber wegen der Nägel nicht herunter, und Randall krümmt sich auf dem Boden und hält sich sein schlimmes Knie.
    »Falsches Knie«, sagt er und pustet auf die Kniescheibe, als hätte er sich das Knie aufgeschlagen und wollte den Schmerz und den Splitt wegpusten, so wie Mama es immer gemacht hat, als wir noch klein waren. Wenn die Kratzer oben auf den Knien waren, legte sie zum Reinigen der Wunde immer unsere schmutzigen Füße an ihre Brust, und wir konnten durch die Fußsohlen hindurch ihren Herzschlag spüren. Er war genauso stark wie der dumpfe Aufschlag unserer Füße auf dem Boden beim Gehen. »Guck mal rein.«
    Ich lege ein Auge an den Schlitz und sehe Dunkelheit und dünne, flatternde Vorhänge. Die Dunkelheit ist von einem leeren Geruch nach Putzmittel und Raumspray durchsetzt. Zwei Finger passen durch den Spalt, mehr nicht.
    »Da ist nichts zu holen. Es riecht sauber. Wahrscheinlich haben sie alles mitgenommen, als sie das Haus verlassen haben.«
    Randall reibt sich die Haut an seinem Knie.
    »Sie sah aus wie der Typ Frau, der nichts verderben lassen würde.«
    Randall lacht, aber es klingt trocken und kratzt an seiner Kehle entlang wie braune Blätter, die vom Wind über den Boden getrieben werden.
    »Komm«, sagt Randall.
    Randall hält sich beim Gehen die Hand an die Brust und humpelt mit seinem schlimmen Knie
.
Ich bleibe am Rand der Lichtung stehen und blicke zurück zur Scheune, in der die Kühe in Sicherheit sind. Ich stelle mir vor, wie sie im Dunkeln vor dem muffigen Heu stehen, die feuchten Nasen zur Decke gereckt, und sich fragen, wo das Blau geblieben ist, das bittere grüne Gras, ihre Vogelvertrauten. Wie sie sich nach der Berührung eines Flügels sehnen.
    Auf dem Rückweg ist es komisch, Randall laufen zu sehen, ohne dass er seine langen Arme locker schwingen lässt. Der Wald ist ein schlafendes Tier: immer noch leer. Nichts ist, wie es sein sollte. Ich höre das Rascheln vor Randall, und ich muss die Hand ausstrecken, um ihn zu stoppen, denn er achtet nur auf sein Knie.
    »Guck doch.«
    Es ist China. Sie lässt etwas Rostfarbenes fallen, steckt dann ihre Nase hinein und bewegt sie hin und her wie einen Schraubenzieher. Dann senkt sie den Kopf, zielt und taucht ein in das, was sie fallen gelassen hat, rollt sich darin herum; sie bewegt sich wie Rauch, die rosigen Unterseiten ihrer Pfoten wedeln durch die Luft. Ihre Augen sind fest geschlossen, die Zähne gefletscht, ihr Gesichtsausdruck lüstern. Ihr Fell färbt sich langsam rot.
    »Was ist das?«, fragt Randall.
    China muss ihn gehört haben, denn sie bricht mitten in der Bewegung ab und springt auf, erstarrt zu Eis, die Lippen versiegelt, den Schwanz gestreckt. Sie sieht uns, schaut auf ihre Beute, reckt die Nase in den schwelenden Himmel, bellt einmal kurz und rennt davon.
    Es ist ein totes Huhn, aufgeschlitzt und noch warm. Ich stelle mir vor, dass es aussieht wie die Innenseite meiner Kehle, ganz pink von Salz und Blut.
    »Das ist eins von unsern«, sage ich, aber Randall schweigt undsetzt halb hüpfend, halb gehend seinen Weg zum Pit und zu unserem Haus fort.
    »Was soll das werden?«
    Randall sagt es, als hätte

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