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Vor dem Sturm

Vor dem Sturm

Titel: Vor dem Sturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Theodor Fontane
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Hohen-Vietz
    Ihr Gespräch wurde durch das Vorfahren eines Wagens unterbrochen, und Renate, die den Blick auf das Fenster frei hatte, rief: »Der Papa!« Er war es und trat den Geschwistern, die sich rasch erhoben hatten, schon im Vorzimmer entgegen. Die Begegnung war herzlich; er küßte Renaten die Stirn und nahm dann Lewin bei beiden Händen, während er ihn zugleich bis an die Fensternische zog.
    »Laß sehen«, sagte er und musterte ihn von Kopf zu Fuß mit scharfem Auge. »Nun, ich lese gute Zeitung; es war dein erster Schmerz, er tut am wehesten, aber er heilt auch am schnellsten. Junge Tage, kurzes Leid. Du wirst auch noch die Kehrseite davon kennenlernen. Und nun nichts mehr davon. Laßt uns Platz nehmen.«
    Jeetze war eingetreten, um den Frühstückstisch zum zweiten Mal zu decken, und die Schorlemmer erschien, um ihren Teil an der Freude des Wiedersehens zu haben. Denn so herrnhutisch kühl ihr Herz auch schlug, so vergaß sie doch dieser Kühle, wenn, nach Tagen oder Wochen der Trennung, die Stimme des alten Vitzewitz zum ersten Male wieder hörbar wurde. Auch Hektor hatte sich eingefunden, und so war alles beisammen.
    »Wie wir dich erwartet haben, Papa!« sagte Renate. »Nicht aus Liebe, denn davon liebst du nicht zu hören, aber aus Neugier. Wir wissen nichts oder so gut wie nichts. Erzähle! Wie starb sie?«
    »Hat denn Seidentopf nicht davon gesprochen?«
    »Ja und nein. Er sprach von ihrem Begräbnis, aber nicht von ihrem Tod. Ich werde den Gedanken nicht los, daß es ein Schreck war, der sie tötete.«
    »Und du triffst es. Der Tod muß sie plötzlich überrascht haben. Ich sah sie noch in der Stellung, in der sie Eve denselben Morgen gefunden hatte. Sie saß in dem großblümigen Lehnstuhl zu Füßen ihres Bettes, ihre noch offenen Augen auf den Stehspiegel gerichtet. Das Buch, in dem sie gelesen, ein Band Diderot, war ihr entfallen und lag neben dem Stuhl.«
    »Und wie war sie gekleidet?«
    »Schwarz. Eva war den Abend vorher von ihr fortgeschickt worden; sie wollte selbst ihre Nachttoilette machen. Das war um elf. Um diese Stunde muß es geschehen sein oder nicht viel später.«
    »Und...« Renate stockte.
    »Ich weiß, was du fragen willst«, fuhr Berndt fort. »Der Spiegel, als ich in das Schlafzimmer trat, hatte seinen grünen Vorhang. Aber Eve wurde rot, als ich darnach fragte, und widersprach sich ein Mal über das andere. Das arme Ding; ich wollte nicht weiter in sie dringen. Um so weniger, als ich sicher bin, daß sie's am Abend vorher vergessen hatte.«
    »Wer ein Gespenst großzieht, den bringt es um«, sagte die Schorlemmer.
    »Wir sollen es nicht großziehen, aber wenn es da ist...«
    »So sollen wir seiner nicht achten. Dann schwindet es. Es kann Mißachtung nicht ertragen, denn es ist eitel wie alle höllische Kreatur.«
    Berndt lächelte, gab der Schorlemmer die Hand und sagte: »Unser alter Streit! Vielleicht, daß wir noch mal Frieden darüber schließen. Aber lassen wir das. Was ich euch noch zu sagen habe, Kinder, hat einen bessern Klang. Wir sind reich! Und wenn du dich im Spiegel siehst, Renate, so siehst du das Bild einer Erbtochter.«
    »Ich wußt es«, triumphierte die Schorlemmer. »Ich hab es dir prophezeit, den Abend in Bohlsdorf, als Doktor Leist seinen ersten Besuch machte.«
    Renate wurde rot, denn sie gedachte auch manches anderen noch, das die Schorlemmer damals gesagt hatte; Berndt aber, ohne des Zwischenfalls zu achten, fuhr fort: »Ein Testament ist nicht da. Von einem gesetzlichen Anspruch der Pudaglas an Guse kann keine Rede sein. Es ist Allod. So fällt es an mich, als an den nächsten Erben. Ich habe mit Ladalinski, den ich vorläufig das Interesse der Pudaglas zu vertreten bat, die Dinge durchgesprochen; er weiß, in welchem Sinn ich mich glücklich schätzen würde, Wünschen oder Ansprüchen des ihm so nahe verwandten Hauses, vor allem aber seinen eigenen Wünschen entgegenzukommen. Es berührt das alte Pläne der Tante. Ihr kennt sie. Von dem Augenblicke an, meine teure Renate, wo du gewählt haben wirst, gehört Guse dir, ich bin nur Nutznießer und Verwalter. Im übrigen sollen dich diese Worte zu nichts bestimmen, deine Wahl ist frei.«
    Die Geschwister schwiegen, und selbst die Schorlemmer fand keinen Spruch, der ausgedrückt hätte, was in ihr vorging. Berndt schien es zufrieden, und während er nach seiner Gewohnheit dem neben ihm liegenden Hektor von den mit Fleisch belegten Brotschnitten zuwarf, die für ihn selbst bestimmt waren, fuhr er fort:

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