Vor dem Sturm
mich so sprechen zu hören. Mich, einen Altpreußen. Aber es erklärt sich leicht. Ich war lange draußen, und draußen lernt es sich. Jeder, der zurückkommt, wird durch nichts so sehr überrascht als durch den naiven Glauben, den er hier überall vorfindet, daß im Lande Preußen alles am besten sei. Das Große und das Kleine, das Ganze und das Einzelne. Am besten, sag ich, und vor allem auch am ehrlichsten. Und doch liegt unser schwacher und schwächster Punkt gerade nach dieser Seite hin. Welche Politik, die wir seit zwanzig Jahren gemacht! Lug und Trug, und wir mußten daran zugrunde gehen. Denn gleichviel, Staat oder Person, wer wankt und schwankt, wer unzuverlässig und unstet ist, wer Gelöbnisse bricht, mit einem Worte, wer nicht Treue hält, der ist des Todes. Und nun Gott befohlen. Löschen wir das Licht und schlafen wir. Morgen sind wir schlechter gebettet.«
Er löschte das Licht und sah Altes und Neues an sich vorüberziehen. Aber eines sah er nicht: wie seine letzten Worte das Herz seines Schlafkameraden getroffen hatten.
In dem Zimmer nebenan plauderten Lewin und Grell.
»Morgen um diese Zeit sind wir auf dem Marsch«, sagte Lewin. »Ist Ihnen leicht ums Herz?«
»Nein«, antwortete Grell. »Ich war nie im Feuer und bin deshalb in Furcht, vielleicht Furcht zu zeigen. Auch ist es ein eigen Ding mit den Vorahnungen.«
»Glauben Sie daran?«
»Ja«, bemerkte Grell. »Nicht jeder hat sie; aber wir haben es von der Mutter her. Im Schleswigschen ist es häufig.«
Eine kurze Pause folgte. Dann sagte Lewin: »Ich mag nicht in Sie dringen, Grell, über Dinge zu sprechen, von denen Sie vielleicht lieber schweigen. Aber eines möcht ich doch sagen dürfen: ich habe den Eindruck, als ob Sie das, was wir vorhaben, um einen Grad ernsthafter nehmen, als es genommen sein will. Es ist ein Coup, der entweder glückt oder nicht glückt; das ist alles. Überraschen wir den Feind, so gibt er sich gefangen, überraschen wir ihn nicht oder lassen uns die Russen im Stich, so ziehen wir uns zurück; aber im einen wie im anderen Falle, nennenswerte Verluste werden schwerlich zu verzeichnen sein. Der Feind ist eben eingeschüchtert und wird sich, selbst wenn er unsern Angriff siegreich abschlägt, auf bloße Defensive beschränken müssen.«
Grell lächelte. »Möglich, daß Sie recht haben, Vitzewitz. Jedenfalls wünsch ich es. Aber Sie kennen die Frühjahrsgewitter: ein Blitz aus heiterem Himmel, und dann ist es wieder vorbei.
Ein
Schlag nur, aber er fordert jedesmal sein Opfer. Und wer will sagen,
wer
gefordert wird oder
wen
es trifft.«
Beide schwiegen und hingen ernsten Gedanken nach. Dann sagte Lewin, der dem Gespräch eine andere Wendung zu geben trachtete: »Haben Sie Kleists Grabmal besucht? Es wirkt etwas zopfig mit seinem Schmetterling und seiner Inschrift in drei Sprachen, und doch hab ich immer einen tiefen Eindruck davon empfangen.«
»Ja«, bestätigte Grell. »Aber der Eindruck, den ich vorher von dem Herzog-Leopold-Denkmal empfing, war tiefer.«
»Und weshalb?«
»Weil es mir noch deutlicher und entschiedener meinen Lieblingssatz predigte, daß es erst der Tod ist, der uns unser eigentliches Leben gibt. Auch hienieden schon. Wer würde von dem armen Herzoge noch wissen, wenn er sein Leben einfach ausgelebt hätte bis auf den letzten Tag. Er unterbrach aber den Gang seiner Stunden und opferte sich; und nun lebt er fort, weil er zu sterben verstand.«
»Es ist unser Tun, nicht unser Tod, was uns ein schöneres Leben sichert.«
»Aber doppelt gesichert ist es uns, wenn es ein Tun im Tode ist.«
Siebzehntes Kapitel
Die Revue
Und nun kam der Tag, an dem es sich entscheiden sollte.
Schon in aller Frühe war der alte General außer Bett gewesen, hatte nach Jeetze geklingelt und Hirschfeldt rufen lassen, der dann auch sofort erschienen und eine halbe Stunde später abgeritten war, um die ordre du jour an alle im halbmeiligen Umkreise stehenden Bataillone zu überbringen. Diese ordre du jour ging dahin, daß eben diese Bataillone Punkt zwölf behufs abzuhaltender Revue in unmittelbarer Nähe von Hohen-Vietz eintreffen, gleich nach der Revue in eben diesem Dorfe Alarmquartiere beziehen und neun Uhr abends zum Abmarsche gegen Frankfurt bereitstehen sollten.
Mit Abfassung dieser Ordres hatte sich Bamme während seiner schlaflosen Stunden beschäftigt. Jetzt erst, wo Hirschfeldt unterwegs war, wurde der Alte ruhiger; es gab nun kein Zurück mehr, oder um ihn selber sprechen zu lassen, »die
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