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Vor der Flagge des Vaterlands

Vor der Flagge des Vaterlands

Titel: Vor der Flagge des Vaterlands Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jules Verne
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Vereinigten Staaten begrenzt ist.
    Ich nehme meine Erinnerungen zusammen. Welches
    sind die Inseln oder Inselgruppen, die in dieser Richtung
    vor den Ländern der Alten Welt vorkommen?
    North Carolina, das die Goélette vor 48 Stunden ver-
    lassen hat, wird vom 35. Breitengrad durchschnitten, und
    dieser Breitengrad muß in seiner Fortsetzung nach Osten,
    wenn ich nicht ganz irre, die afrikanische Küste, etwa in
    der Höhe von Marokko treffen. In dieser Linie liegt aber
    die Gruppe der Azoren, etwa 3.000 Seemeilen von Amerika
    entfernt. Wäre es anzunehmen, daß die ›Ebba‹ diesen Archi-
    pel anlaufen wollte, daß ihr Heimathafen auf einer der In-
    seln läge, die ein Besitztum Portugals sind? . . . Nein, diese
    Hypothese ist auszuschließen.
    Vor den Azoren befindet sich übrigens, in der Linie des
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    35. Breitengrads und in einer Entfernung von nur 1.200
    Seemeilen, die Gruppe der Bermudas. Sie gehören England,
    und es erscheint mir recht plausibel, daß Graf d’Artigas,
    wenn er im Auftrag einer europäischen Macht gehandelt
    hat, das in dem des Vereinigten Königreichs von Großbri-
    tannien und Irland tat. Freilich bleibt immer noch der Fall
    übrig, daß er bei der Angelegenheit nur sein eigenes Inter-
    esse im Auge hatte.
    Im Lauf dieses Tages nahm Graf d’Artigas drei- oder
    viermal auf dem Heck Platz. Von dort aus schien sein Auge
    scharf verschiedene Punkte des Horizonts abzusuchen.
    Wenn ein Segel oder eine Rauchsäule auf hohem Meer
    sichtbar wurde, betrachtete er sie lange mit Hilfe eines gro-
    ßen Marinefernrohrs. Ich füge hier hinzu, daß er sich nicht
    dazu herabgelassen hat, meine Anwesenheit auf Deck zu
    bemerken.
    Von Zeit zu Zeit tritt Kapitän Spade an ihn heran und
    beide wechseln dann einige Worte in einer Sprache, die ich
    nicht verstehen und nicht einmal erkennen kann.
    Mit Ingenieur Serkö, der bei dem Eigentümer der ›Ebba‹
    einen großen Stein im Brett haben muß, unterhält er sich
    offenbar am liebsten. Zu welchem Zweck befindet sich aber
    dieser Ingenieur, der sprachseliger, weniger mürrisch und
    nicht so verschlossen ist wie alle übrigen, überhaupt hier
    auf der Goélette? . . . Ist es ein besonderer Freund von Graf
    d’Artigas? . . . Schweift er mit ihm über die Meere und teilt
    er mit ihm das beneidenswerte Leben eines reichen Yacht-
    besitzers? In Wahrheit ist dieser Mann der einzige, der mir,

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    wenn auch nicht gerade Teilnahme, doch einiges Interesse
    entgegenzubringen scheint.
    Thomas Roch hab’ ich den ganzen Vormittag über nicht
    zu Gesicht bekommen. Jedenfalls ist er infolge des Anfalls
    vom Vorabend, der noch nicht ganz vorüber sein wird, in
    seiner Kabine eingeschlossen.
    Darüber erhalte ich sogar Gewißheit, als mir gegen 3 Uhr
    nachmittags Graf d’Artigas, der schon die Treppe hinunter-
    gehen wollte, ein Zeichen gab, zu ihm zu kommen.
    Ich weiß zwar nicht, was dieser Graf d’Artigas von mir
    will, dagegen weiß ich sehr gut, was ich ihm sagen werde.
    »Dauern die Anfälle, unter denen Thomas Roch zuwei-
    len leidet, gewöhnlich lange an?« fragt er mich.
    »Manchmal 48 Stunden«, lautet meine Antwort.
    »Und was ist dann zu tun?«
    »Oh, kaum etwas anderes, als ihn in Ruhe zu lassen bis
    er einschläft. Nach einer Nacht ungestörten Schlummers ist
    der Anfall vorbei, und Thomas Roch verfällt wieder seiner
    gewohnten halben Bewußtlosigkeit.«
    »Gut, Pfleger Gaydon; Sie werden ihm auch, wenn es nö-
    tig ist, genau wie in Healthful House Ihre Pflege angedei-
    hen lassen.«
    »Meine Pflege?«
    »Ja, an Bord der Goélette . . . zunächst bis wir angekom-
    men sind.«
    »Wo?«
    »Da, wo wir morgen im Lauf des Nachmittags sein wer-
    den«, begnügt sich Graf d’Artigas zu antworten.
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    Morgen? . . . denk ich für mich. Es handelt sich also nicht
    darum, bis zur afrikanischen Küste, ja nicht einmal bis zu
    den Azoren zu fahren? . . . Da bliebe also nur die Vermu-
    tung übrig, daß die ›Ebba‹ bei einer der Bermudas-Inseln
    anlegen wollte.
    Schon setzt Graf d’Artigas den Fuß auf die erste Stufe
    der Kajütentreppe, da rede ich ihn nun selbst an.
    »Herr Graf«, sage ich, »ich möchte wohl wissen . . . ja,
    ich habe ein Recht darauf, zu wissen, wohin ich komme . . .
    und . . .«
    »Hier, Pfleger Gaydon, haben Sie gar keine Rechte und
    haben nur zu antworten, wenn man Sie fragt.«
    »Ich protestiere . . .«
    »Protestieren Sie nur!« erwidert mir die herrische, hoch-
    mütige Persönlichkeit und

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