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Vor der Flagge des Vaterlands

Vor der Flagge des Vaterlands

Titel: Vor der Flagge des Vaterlands Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jules Verne
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im Kalkfelsen ausgebrochene
    Fenster herein, die mit bunten Scheiben ausgestattet sind.
    Das Innere enthält mehrere Zimmer, einen Speisesaal und
    einen Salon mit besonders großem Fenster . . . alles so ange-
    ordnet, daß es der Luft leicht Durchlass gewährt. Die Möbel
    darin sind verschiedenen Ursprungs und von allerlei Form;
    sie tragen französische, englische und amerikanische Fa-
    brikmarken. Offenbar hält ihr Besitzer auf Abwechslung im
    Stil. Speisekammer und Küche sind in anliegenden Grotten
    hinter Bee-Hive untergebracht.
    Am Nachmittag, als ich mit der festen Absicht ausging,
    bei Graf d’Artigas »eine Audienz zu erlangen«, sehe ich
    ihn, wie er am Ufer der Lagune Richtung Bienenstock geht.
    Doch, ob er mich nicht gesehen hat oder nur ausweichen
    wollte, jedenfalls beschleunigte er seinen Schritt, so daß ich
    ihn nicht einholen konnte.
    »Und er muß mich doch empfangen!« sag’ ich mir.
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    Ich beeile mich also und bleibe vor der Wohnung an der
    Tür stehen, die sich eben wieder geschlossen hat.
    Eine Art großer Teufel von malaiischem Ursprung und
    sehr dunkler Hautfarbe erscheint sofort auf der Schwelle
    und bedeutet mir mit rauher Stimme, mich zu entfernen.
    Ich widersetze mich dieser Anordnung und bleibe, wäh-
    rend ich zweimal in gutem Englisch die Worte wiederhole:
    »Melden Sie Graf d’Artigas, daß ich von ihm sofort emp-
    fangen zu werden wünsche!«
    Ja, da hätt’ ich mich ebensogut an die Felsen von Back-
    Cup wenden können! Der Wilde versteht offenbar kein
    Wort Englisch und antwortet mir nur mit einem drohen-
    den Schrei.
    Da kommt mir der Gedanke, mit Gewalt einzudringen
    und so laut zu rufen, daß Graf d’Artigas mich hören muß.
    Doch aller Wahrscheinlichkeit nach hätte das keine andere
    Folge gehabt als die, den Zorn des Malaien zu reizen, der
    herkulische Kräfte zu besitzen scheint.
    So verschieb’ ich denn die mir zukommende Erklärung
    bis auf eine andere Gelegenheit, die sich früher oder später
    bieten wird.
    Während ich an der Zellenreihe von Bee-Hive in öst-
    licher Richtung weitergehe, kommt mir Thomas Roch wie-
    der in den Sinn. Ich wundere mich, ihn im Lauf dieses ers-
    ten Tages noch nicht gesehen zu haben. Sollte er vielleicht
    an einem neuen Anfall leiden? . . .
    Das ist kaum anzunehmen, denn Graf d’Artigas hätte
    doch – entsprechend seiner früheren Äußerung darüber –
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    sicherlich den Pfleger Gaydon zu dem Kranken entbieten
    lassen.
    Kaum hab’ ich 100 Schritte getan, da begegne ich In-
    genieur Serkö. Freundlich auftretend und wie immer gu-
    ter Laune, lächelt der ironische Mann bei meinem Anblick
    und versucht nicht mich zu meiden. Wenn er wüßte, daß ich
    ein Berufsgenosse von ihm, daß ich Ingenieur bin – wenn
    er selbst einer ist – würde er mir vielleicht einen besseren
    Empfang bereiten. Trotzdem werd’ ich mich hüten, ihn mei-
    nen Namen und meinen Beruf wissen zu lassen.
    Mit leuchtendem Auge und spöttischem Mund ist Inge-
    nieur Serkö stehengeblieben und begleitet den Guten Tag,
    den er mir bietet, mit einer eleganten Handbewegung.
    Ich antwortete nur sehr kühl, was ihn keineswegs zu
    kümmern scheint.
    »Behüte Sie der heilige Jonathan, Mr. Gaydon!« sagt er zu
    mir mit frischer und klangvoller Stimme. »Sie beklagen sich
    hoffentlich nicht über den glücklichen Zufall, der Ihnen ge-
    stattet hat, diese Höhle zu besuchen . . . die wunderbarste
    unter allen . . . ja, die allerschönste . . . die außerdem auch
    noch auf unserm Sphäroid am wenigsten bekannt ist!«
    Dieses Wort aus der wissenschaftlichen Sprache, hier an-
    gewendet im Gespräch mit einem einfachen Pfleger, setzt
    mich, ich gesteh’ es, in Erstaunen und ich begnüge mich zu
    antworten:
    »Ich werde mich nicht zu beklagen haben, Mr. Serkö,
    wenn mir nach dem Vergnügen, diese Höhle besichtigt ha-

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    ben zu dürfen, auch die Freiheit gewährt würde, daraus
    wegzugehen . . .«
    »Wie? Sie denken schon daran, uns zu verlassen, Mr. Gay-
    don? Sie wollen nach Ihrem traurigen Pavillon in Health-
    ful House zurückkehren? . . . Sie haben ja unsern prächti-
    gen Wohnsitz noch kaum zu Gesicht bekommen, haben die
    unvergleichlichen Schönheiten, womit er ausschließlich auf
    Kosten der Natur ausgestattet ist, noch gar nicht bewun-
    dern können . . .«
    »Oh, was ich davon gesehen habe, das genügt mir«, hab’
    ich geantwortet, »und wenn Sie im Ernst sprechen, könnt’
    ich Ihnen doch nur ebenso ernstlich

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