Vor Jahr und Tag
ersuchten, andere, die verschiedene Dinge für ihn erledigten. Und dennoch, die ganze Sache bereitete ihm Unbehagen. Er hatte gedacht, schon vor Jahren alles hinter sich gebracht zu haben, Nun, das sollte ihm eine Lehre sein: Man durfte nie etwas unerledigt lassen. Medina hatte zur Kategorie Unerledigtes gehört; er bedauerte das, drückte sich jedoch nicht davor, die Sache zu erledigen.
»Und was ist mit den Männern, die Sie für die Sache verpflichtet hatten?« erkundigte er sich und überlegte, ob hier wohl noch mehr Unerledigtes auf ihn wartete.
»Für die kann ich bürgen. Keiner von ihnen wußte auch nur einen Namen; alles, was sie taten, war einen Job erledigen. Ich hab alles strikt geheimgehalten.«
»Gut. Was ist mit dem Buch?«
»Keine Spur davon.«
»Verdammt.« Er hatte das Wort nur sehr leise ausgestoßen. Solange von dem Buch jede Spur fehlte, durfte er sich nicht sicher fühlen. Wie zum Teufel kam Dexter Whitlaw überhaupt dazu, den Mord aufzuschreiben? Damit lieferte er sich doch bloß selbst an den Galgen. Dexter Whitlaw hatte offensichtlich entschieden, daß er weniger zu verlieren hatte, wenn die Wahrheit herauskam, als ein anderer, und daß dieser andere die Summe bezahlen würde, um das Büchlein in die Hand zu bekommen. Womit er beinahe recht hatte. Doch wenn man über andere Optionen verfügte, brauchte man sich nicht an die Regeln zu halten. »Wo könnte er’s bloß hingetan haben?«
»Ich glaub kaum, daß er’s in einem Bankschließfach deponiert hat«, überlegte der zweite Mann. Sein Name war Hayes. Er war groß und beleibt, nicht besonders gutaussehend, bloß einer von diesen leicht übergewichtigen, aber ein wenig ungepflegten Typen, die sich nicht in Form halten konnten. Der Blick aus seinen Augen war reserviert und intelligent. »Er war viel zuviel unterwegs und wollte es sicher da haben, wo er jederzeit rankam, und außerdem muß man für diese Schließfächer jährlich bezahlen. Dasselbe gilt für die Schließfächer auf Busbahnhöfen. Höchstwahrscheinlich hat er’s bei jemandem hinterlegt, dem er vertraute, einem Freund vielleicht oder jemandem aus der Familie.«
»Whitlaw hatte keinen Kontakt mehr zu seiner Familie.« Die Mißbilligung des Sprechers war nicht zu überhören. »Er hat seine Frau und seine Tochter schon vor zwanzig Jahren verlassen.«
»Wissen Sie, wo sie zuletzt gewohnt haben?« erkundigte sich Hayes prompt.
»Irgendwo in West Virginia, aber da sind sie nicht mehr. Ich hab gehört, daß sie vor Jahren nach Ohio gezogen sind, weiß aber nicht genau, wohin dort.«
»Whitlaw könnte gewußt haben, wo sie wohnen. Er könnte ihnen das Notizbuch geschickt haben, bevor er anfing, Sie zu erpressen. Hat alles im voraus geplant.«
»Das könnte sein, ja, das könnte sein.« Mehr als beunruhigt, wandte sich der Mann von der Fensterfront ab und wieder seinem Gegenüber zu.
»Haben Sie ihre Sozialversicherungsnummer rauskriegen können oder die Steuernummer?«
»Das wäre aufgefallen -«
Hayes seufzte. Ja, das wäre es - wenn es auf dem offiziellen Weg geschehen wäre, was immer eine dumme Methode war. »Geben Sie mir ihre Namen und Geburtsdaten. Ich werd’s für Sie rausfinden - ohne aufzufallen.«
»Wenn Sie meinen -«
»Ja, das meine ich.«
»Aber unternehmen Sie noch nichts. Ich will nicht, daß zwei Frauen unnötigerweise getötet werden.«
Nachdem Hayes gegangen war, verließ Senator Stephen Lake sein Büro und stieg die weite, anmutig geschwungene. Treppe in den ersten Stock des Herrenhauses hinauf. Seine Schritte waren auf dem dicken Teppich kaum zu hören, und das polierte Ebenholzgeländer funkelte in der Sommersonne wie pechschwarzer Gagat. Die Luft war erfüllt vom süßen Duft frischer Blumen, die aus seinen eigenen, liebevoll gepflegten Gärten stammten - von Gärtnern liebevoll gepflegt, natürlich -, und er blieb einen Moment stehen, um den herrlichen, undefinierbaren Duft eines Lebens im Luxus tief einzuatmen.
Er liebte dieses Haus, liebte es seit dem Augenblick, in dem er alt genug gewesen war, die Schönheit seiner Umgebung und das, was sie repräsentierte, schätzen zu können. Er konnte sich noch erinnern, wie er als Kind einmal seinen Vater beobachtet hatte, als dieser sich bückte und mit den Fingern ehrfürchtig über den neu ausgelegten Marmorboden des Foyers strich, wobei er sowohl die glänzende, glatte Schönheit des Steins bewunderte als auch das, was er repräsentierte: Seinen Wohlstand und, ja, auch seine Macht. Das Atmen
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