Vor Jahr und Tag
war Stephen schwer geworden, als er sah, wie bewegt sein Vater war und daß er genau dasselbe fühlte. Er tat es immer noch. Er liebte die großen Bleikristallüster, die exquisiten, handgefertigten Möbel aus Europa, die exotischen Hölzer aus Afrika und Südamerika, die Gemälde in ihren vergoldeten Rahmen, die knöcheltiefen Teppiche, die die Kälte der eisigen Winter von Minnesota von seinen Füßen fernhielten.
Von klein auf hatte er auf dem herrlichen englischen Rasen herumgetollt, zusammen mit seinem Bruder William, abwechselnd Indianer und Cowboy spielend, mit langen Stöcken als Gewehre, »Peng, peng!« brüllend, bis sie heiser waren. Das war eine herrliche Zeit gewesen. Die Köchin hatte immer frische, eiskalte Limonade für sie bereitgehalten, wenn sie am Ende des Tages erschöpft vom Herumtollen in der Sommersonne ins Haus zurückkehrten, oder heiße Schokolade zum Aufwärmen nach einem ausgelassenen Tag im Schnee. Drinnen roch es immer so gut nach den Zigarren ihres Vaters, ein Geruch, den der Senator nach wie vor mit Macht und Status assoziierte, und dann der süße Duft des Parfüms ihrer Mutter, wenn sie ihn und William umarmte und auf die Wangen küßte und er sich vor Wohlgefühl wand. »Meine kleinen Prinzen«, nannte sie sie immer.
Ihre Mutter liebte sie bedingungslos. Der Vater war strenger, schwerer zufriedenzustellen gewesen. Ein Stirnrunzeln von ihm konnte den Jungen den Tag verderben. William hatte es leichter mit seinem Vater als Stephen. William war natürlich der Altere, aber er war auch von Natur aus vorsichtiger und verantwortungsbewußter. Stephen dagegen war eher scheu, aufgeweckter zwar als sein selbstsicherer Bruder, aber weniger in der Lage, dies auch zu zeigen. William hatte sich oft vor Stephen gestellt und ihn so vor einer Bestrafung bewahrt, hatte die Schelte nicht selten auf sich genommen, denn der Vater hatte keine Geduld mit Stephens scheuer Art.
Von klein auf wünschte sich Stephen nichts mehr, als seinen Vater zufriedenzustellen, die Art Mann zu werden, auf den er stolz sein konnte. Er wollte sein wie sein Vater, ein Mann, den die Leute fürchteten, aber auch respektierten, dessen kleinstes Stirnrunzeln sofortigen Gehorsam bewirkte, aber auf dessen Wort man unbedingt vertrauen konnte. William dagegen war immer der Kronprinz gewesen, der Erbe, und so hatte William den Löwenanteil der ersehnten Aufmerksamkeit seines Vaters bekommen. Stephen konnte nicht behaupten, daß das Vertrauen seines Vaters ungerechtfertigt gewesen wäre, denn William - war einfach wundervoll gewesen. Anders konnte man es nicht nennen. Er hatte keinen einzigen gemeinen oder hinterhältigen Knochen im Leib, und er arbeitete unermüdlich, um seine Unzulänglichkeiten zu überwinden. Selbst mit all der Verantwortung, die auf seinen Schultern lastete, dem Erwartungsdruck, hatte er immer ein Lächeln auf dem Gesicht gehabt, einen Scherz auf den Lippen.
Williams Tod im Alter von siebenundzwanzig Jahren traf die Familie hart. Stephens Mutter erholte sich nie davon und begann zu kränkeln; sie starb vier Jahre später.
Was seinen Vater betraf, so war er am Boden zerstört. Seinen eigenen Kummer beiseite schiebend, mühte sich Stephen noch mehr, damit sein Vater stolz auf ihn war. Er kämpfte sich durchs Jurastudium, büffelte länger und härter als alle anderen und schloß als Bester seines Jahrgangs ab. Er heiratete ein bildhübsches, liebes Mädchen aus einer extrem reichen Familie aus New Hampshire und war ihr ein treuer, rücksichtsvoller, liebender Ehemann. Sie bekamen zwei Kinder, einen Jungen und ein Mädchen, und Stephen durfte erleben, wie sein Vater angesichts seiner Enkel förmlich dahinschmolz.
Stephen begann seine politische Laufbahn auf Anraten seines Vaters mit einer Bewerbung um ein lokales Amt, da man sich nur auf diese Weise einen treuen Wählerstamm schuf. Nachdem er seine Amtszeit als Staatsanwalt absolviert hatte, bewarb er sich um einen Sitz im Repräsentantenhaus, dann um den Senat. Mit zwölf Jahren Erfahrung als Lokalpolitiker auf dem Buckel ergriff er die Gelegenheit, für den Sitz im Repräsentantenhaus zu kandidieren, als der bisherige Inhaber in den Ruhestand trat. Er erfüllte seine Pflichten so gewissenhaft wie möglich und wartete ab, wobei er die Senatoren seines Staates sorgfältig im Auge behielt, um beim kleinsten Anzeichen von Schwäche handeln zu können. Als einer von ihnen in einen Sexskandal verwickelt war, zögerte Stephen keine Sekunde und kandidierte bei der
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