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Vor meinen Augen

Vor meinen Augen

Titel: Vor meinen Augen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alice Kuipers
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sähe Emily hereinkommen und sich an einen freien Tisch neben uns setzen. Sie kratzte sich im Nacken und sah dann zu mir herüber. Aber sie war es nicht. Es war ein Mädchen, das ihr ähnlich sah, das war alles.
    Rosa-Leigh musste gemerkt haben, wie meine Augen ganz feucht wurden, denn sie drückte meinen Unterarm und sagte: »Du vermisst sie, stimmt’s?«
    Und ich fragte sie nicht, woher sie das wusste. Das musste ich auch gar nicht.

Samstag, 1. April
    Der Tag für Aprilscherze. Heute Morgen saß ich auf dem Dach und erinnerte mich an den 1. April letzten Jahres. Emily rief an und sagte, sie sei schwanger. Mum begann, laut loszuschreien, und ich kam aus meinem Zimmer, um zu sehen, was passiert war. Ich nahm Mum den Hörer aus der Hand. Emily lachte so sehr, dass sie kaum sprechen konnte.
    »Sag ihr nicht, dass das nur ein Scherz war: Ich hab ihr gesagt, ich sei schwanger«, prustete sie.
    Ich platzte ebenfalls los, und Mum wurde noch wütender, bevor ihr klarwurde, was Sache war. Sie lachte aber trotzdem nicht. Sie fand, dass es nicht lustig war, über Schwangerschaften Witze zu machen. Ich frage mich jetzt, ob wir damals glücklich waren. War das ein guter Tag gewesen?

Sonntag, 2. April
    Es ist noch nicht einmal Mittag und doch fühlt sich der Tag jetzt schon zu lang an. Mum und ich sitzen zusammen im Haus fest. Ich habe ein Buch von Stephen King ausgelesen. Einmal mit einem Stephen-King-Buch angefangen, kann ich es nicht mehr aus der Hand legen. Dann versuchte ich etwas, was Rosa-Leigh mir vorgeschlagen hat. Man nennt es ein »Gefundenes Gedicht«. Dazu nimmt man Worte, die man gefunden hat, und setzt sie zusammen, um ein Gedicht daraus zu machen. Man »findet« die Worte, indem man Sätze auswählt, oder Teile von Sätzen, die einem gefallen. Dann ordnet man sie anders an, um etwas Neues zu schaffen. Ich dachte, Mum würde es vielleicht gefallen, dies mit mir zu machen, aber ich wusste nicht, wie ich sie fragen sollte. Zwischen uns lief es momentan nicht so gut. Sie wollte sowieso gerade weggehen.
    »Wohin gehst du denn?«
    »Highgate, zur Kirche. Willst du mitkommen?«
    Ich war erstaunt, dass sie mich fragte, aber ich konnte trotzdem nicht anders, als nein zu sagen. Mums Seufzer ignorierte ich.
    Hier ist mein erster Versuch mit dem Gedicht.
    Die Erinnerung
Früh am Montag, Dienstag, Mittwoch
Für Emily
Sie kam zu spät
    Es ist kurz. Ich benutzte eine von Mums Zeitschriften dazu. Ich könnte noch ein paar Bücher aus dem Wohnzimmer dafür nehmen, um ein besseres zu schreiben.
    Er lehrt doch die Bibel
Hat gerade ein Buch geschrieben
Er glaubt, dass sein Einsatz von Psychologie
Eine geradezu biblische Botschaft darstellt
    Vielleicht hätte ich doch mit Mum gehen sollen. Ich war dieses Jahr noch gar nicht in der Kirche. Am Tag vor Weihnachten war ich zum letzten Mal. Und da musste ich nur weinen. Zumindest war Fluffy jetzt hier bei mir, schnurrte und trat rhythmisch mit ihren schwarzen Pfoten auf meinem Schoß. Ich streichelte sie und sie biss mich spielerisch in die Hand, dann sprang sie runter und schlich davon. Ich merkte an ihrer katzenhaften Enttäuschung, dass ich in ihren Augen nur ein schlechter Ersatz für Emily bin.
    Schließlich gab ich meine Versuche mit dem Gedicht auf und kletterte aufs Dach raus. Ich begann, über diesen albernen Streit nachzudenken, den Emily und ich vor ungefähr einem Jahr hatten. Ich sah fern, als Emily in einem grünen Rock ins Zimmer kam.
    Ich fragte: »Wo hast du denn den Rock her? Sieht gut aus.«
    »Ich hab ihn aus einem alten Kleid gemacht.«
    »Aus welchem alten Kleid?« Ich hatte ein komisches Gefühl im Bauch.
    »Ein grünes Kleid, das ich im Schrank gefunden habe.«
    »In welchem Schrank?«
    »Keine Ahnung.« Das Telefon klingelte. Sie war bereits auf dem Weg aus dem Zimmer.
    Ich wartete, bis sie zu Ende telefoniert hatte, mit wem auch immer sie da sprach, lauschte auf ihre nervend fröhliche Stimme, jedes Wort drückte sich in meine Ohren wie ein Ohrstäbchen, das zu weit hineingeschoben wurde. Als sie fertig war, sprang ich vom Sofa auf und packte ihren Rock. »In welchem Schrank?«
    »Lass mich los! Loslassen!«, schrie sie.
    »Das ist MEIN KLEID, das du da abgeschnitten hast! Mein Lieblingskleid.«
    »Es war dir sowieso zu eng.«
    Ich gab ihr eine Ohrfeige und sie wich zurück. »Du blöde Kuh«, zischte sie. Noch während sie es sagte, wusste ich, dass ich zu weit gegangen war, aber ich konnte einfach nicht aufhören.
    »Was ist dein Problem, Emily?«, schrie

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