Vor Schmetterlingen wird gewarnt (German Edition)
nicht bloß ihre dröhnende Stimme, die nun wirklich unvergleichlich war.“
„Anfangs fanden wir sie ganz nett, aber nichts Besonderes“, meldete Poppy sich wieder zu Wort.
„Aber dann fragte sie uns, was wir von der Musik halten“, fuhr Ava fort. „Und diese guten Manieren, mit denen Poppy mich so gern aufzog? Ich hielt mich an die Parteilinie und gab die übliche brave Antwort.“ Sie strahlte, ihre Augen leuchteten, ihre Wangengrübchen erschienen. „Und Miss Agnes haute uns glatt aus den Socken, indem sie sagte, ihr persönlich gefiele sie ganz gut, aber ‚Material Girl‘ sei es nicht gerade.“
Poppy lachte. „Im Lauf der Zeit stellten wir fest, welch trockenen Humor sie besaß. Sie sagte Sachen mit völlig ausdrucksloser Miene, die uns jedes Mal umhauten. Und bei dieser ersten Begegnung unterhielten wir uns den ganzen Abend mit ihr, ohne zu merken, wie die Zeit verging.“
„Ja, meine Mutter war nicht gerade begeistert, dass wir ihren Ehrengast belagerten“, sagte Ava. „Aber das war mir egal. Miss Agnes mochte uns. Sie mochte uns wirklich und gab uns das Gefühl, als seien wir die faszinierenden Personen. Bevor sie andiesem Abend ging, lud sie uns zum Tee in die Wolcott-Villa ein.“
„Das erwies sich als der Beginn von fast zwanzig Jahren gemeinsamer Teenachmittage bei ihr“, berichtete Jane weiter. „Wie ich schon erwähnte, sie war ganz anders als die anderen Erwachsenen.“
„Sie war unglaublich interessant“, ergänzte Poppy. „Sie hatte Orte bereist, die ich nur vom Hörensagen kannte und noch heute nur aus Filmen oder Büchern kenne.“
„Im Ernst“, pflichtete Ava ihr bei. „Sie war nicht nur an den bekannten Orten wie Paris, Madrid oder London gewesen, sondern in Afrika, Madagaskar und am Amazonas. Oh, sie hatte einfach überallhin Reisen unternommen.“
„Sie hatte auch schon alles Mögliche gemacht“, übernahm Jane. „Wusstest du, dass sie ihr eigenes Flugzeug flog? Ich habe stets bedauert, dass wir sie erst einige Jahre nachdem sie die Fliegerei aufgegeben hatte, kennenlernten. Denn das wäre wirklich der Hammer gewesen, mit ihr durch die Wolken zu rauschen. Oh, und ihre sagenhaften Sammlungen!“
„Janie hat es Miss Agnes zu verdanken, dass sie Kuratorin geworden ist.“ Ava schenkte ihrer Freundin ein Lächeln voller Zuneigung. „Und es ist nicht übertrieben, Miss Agnes besaß tatsächlich die erstaunlichsten Dinge. Dazu gehörte auch ihre Garderobe. Sie hatte echt einen Kleiderfimmel und besaß Kostüme und Kleider von jedem Modehaus, von dem man je gehört hat.“ Ihr Blick wurde wieder verträumt. Cade gab Louie ein Zeichen für eine extreme Nahaufnahme. „Am liebsten mochte ich ihre alten Abendkleider.“
„Sie erlaubte uns, dass wir uns damit verkleiden“, erzählte Poppy weiter. „Besonders gefiel es ihr, Ava in ihre Kleider aus den Dreißigern, Vierzigern und Fünfzigern zu stecken.“
„Sie gab mir das Gefühl, schön zu sein“, sagte Ava. „Mein heutiger Stil?“ Mit ihren Fingern zeichnete sie in der Luft die Konturen ihrer üppigen Kurven nach. „Ob die Leute das nun mögen oder nicht – mein heutiger Stil nahm seinen Anfang in Miss Agnes’ Ankleidezimmer.“
Cade dachte gerade, wie sehr ihm ihr heutiger Stil gefiel, als Poppy sagte: „Ich durfte ihre Wände in den Farben streichen, die ich am liebsten mochte.“
„Stimmt, bevor Poppy loslegte, waren alle Wände in der Villa weiß“, erinnerte Ava sich. „Das war das Tolle an Miss Agnes. Sie förderte unsere Interessen und half uns dabei, unsere Stärken zu entwickeln.“
„In meinem Fall hieß das, dass ich mich stundenlang mit ihren Sammlungen beschäftigen durfte“, sagte Jane und schüttelte lachend den Kopf. „Erst auf dem College wurde mir klar, welchen Wert sie darstellten. Und Miss Agnes ließ mich damit spielen, als handele es sich um Kaufhausspielzeug.“
Die drei schilderten ihre Erinnerungen weiter mit ungebrochener Begeisterung und voller Zuneigung für ihre Freundin und Mentorin. „Als wir zum ersten Mal zum Tee bei ihr waren, nannte sie uns Schwestern. Das fand ich sehr cool.“
„An dem Tag schenkte sie uns auch unsere ersten Tagebücher. Wir alle führen noch heute Tagebuch.“
„Miss Agnes erschien von da an zu jedem wichtigen Ereignis in unserem Leben.“
Cade signalisierte dem Kameramann, er solle die Kamera aufziehen. Cade wollte im Bild haben, wie Ava sich lachend nach vorn beugte, während sie eine ihrer Erinnerungen schilderte. Oder wie Poppy
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