Vor Schmetterlingen wird gewarnt (German Edition)
dass ihr zum Heulen zumute war.
Es war ein weiterer langer Tag gewesen. Cade war hundemüde, verspürte aber keine Lust, in seine leere Wohnung zurückzukehren. Deshalb fuhr er nach West Seattle, um mit dem Besitzer von Easy Street Records zu sprechen. Jeder Musikfan in L.A. hatte ihm geraten, sich das nicht entgehen zu lassen, wenn er nach Seattle fuhr. Ava hatte ihn am Nachmittag darin bestärkt, als er sich nach dem besten Musikladen in der Stadt erkundigte. Alle schienen sich darin einig zu sein, dass Easy Street einer der anerkanntesten unabhängigen Musikläden in den Vereinigten Staaten sei.
Laut Ava hatte sich in dem Laden in den Neunzigern die Grunge-Szene getroffen, als Bands wie Pearl Jam, Nirvana und Soundgarden in West Seattle wohnten. Anscheinend machten noch heute einige große Namen der Musikszene dort Halt, wennsie in der Stadt waren, um im Laden spontan zu jammen.
Cade hoffte, die Gelegenheit zu bekommen, sich ein paar Minuten mit dem Besitzer des Ladens unterhalten zu können. Er wollte dessen Meinung zu einigen musikalischen Ideen für den Dokumentarfilm über Miss Agnes hören. Da Ava nur eine oder zwei Meilen von dem Plattenladen entfernt wohnte, wollte er auch bei ihr vorbeischauen. Erstens hatte er Zeit, und zweitens hatte er das gestrige Filmmaterial auf seinem Laptop dabei. Er wollte ihr zeigen, wie hervorragend sie und ihre Freundinnen das Interview absolviert hatten. Ava konnte es schon gestern kaum erwarten, die Aufnahmen zu sehen.
Allerdings wäre es diesmal sicher besser, nicht unangekündigt bei ihr aufzukreuzen. Er drückte den Telefonknopf des OnStar-Programms in seinem Mietwagen und gab Avas Nummer ein, als die automatische Anfrage kam. Während er auf den Verbindungsaufbau wartete, überquerte er die Kreuzung California und Alaska Street, fuhr an den Vierzigerjahre-Backsteinhäusern in der Easy Street vorbei und hielt nach einem Parkplatz Ausschau.
Endlich meldete sie sich. Er hörte ihre Stimme … und fühlte ein Kribbeln unter der Haut.
Dieses eigenartige Gefühl ignorierend, sagte er: „Ich beherzige gerade deinen Rat und schaue bei Easy Street Records rein.“
„Im Ernst? Arbeitet Matt heute Abend?“
„Keine Ahnung, aber …“
„Moment mal – hast du etwa nicht vorher angerufen?“
„Nein, aber deswegen melde ich mich nicht, sondern weil ich in deiner Gegend bin. Und da dachte ich, ich könnte vielleicht, nachdem ich mich mit Matt unterhalten habe …“
„Falls er überhaupt da ist“, unterbrach sie ihn.
„Ja, klar, falls er da ist“, wiederholte er ungeduldig. „Mann, du bist vielleicht ein Stimmungskiller. Ich dachte, ich könnte vielleicht noch bei dir vorbeischauen, wenn ich bei Easy Street Records fertig bin.“
„Heute Abend passt es mir nicht“, sagte sie prompt, kaumdass er es ausgesprochen hatte.
„Warum nicht? Hast du etwa ein heißes Date?“ Er hielt erschrocken inne – denn es bestand ja durchaus die Möglichkeit, dass sie tatsächlich eines hatte.
Gut, das war ihm eigentlich egal. Aber es wäre doch ein bisschen schade, weil er gern zwei Dinge auf einen Schlag erledigt hätte.
„Nein“, lautete ihre Antwort, und ihr Ton war gleich um einiges kühler und sachlicher als noch vor einer Sekunde. „Ich habe weder ein heißes noch sonst irgendein Date. Ich bin einfach nicht in der Stimmung für Gesellschaft. Schon gar nicht deiner …“
„Ich habe meinen Laptop auf dem Rücksitz“, sagte er, irgendwie froh, dass er diesmal derjenige war, der sie unterbrach. „Und darauf ist tolles Filmmaterial von dir und deinen Freundinnen.“
Er hörte sie am anderen Ende der Leitung leise fluchen. Dann stieß sie einen dieser halb unterdrückten Seufzer aus, wie nur Frauen es beherrschten, und meinte widerwillig: „Also schön. Dann komm halt vorbei.“
„Da scheinen mal wieder die wundervollen Manieren durch, von denen ich so viel gehört habe.“
Danach forderte sie ihn auf, etwas zu tun, was die männliche Anatomie gar nicht zuließ. Lachend legte Cade auf.
Knapp eine Stunde später stand er im Foyer vor Avas Wohnung, noch ganz aufgedreht von seiner Unterhaltung mit dem Besitzer des Plattenladens.
„Danke“, sagte er und war auch schon drinnen, kaum dass sie die Tür geöffnet hatte. „Ich habe also bei Easy Street reingeschaut, und du hattest unrecht, denn Matt war da. Aber du hattest andererseits auch recht mit dem, was du mir heute Nachmittag gesagt hast – er hat mir wirklich sehr geholfen. Dieser Kerl besitzt ein
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