Vor Vampiren wird gewarnt
durch die Hintertür, und dort im dunklen Hof sah er sie. Ein Mann war bei ihr. Der Kunde versuchte zu gehen, ohne zu zahlen, und blitzschnell packte Lorena ihn und schnitt ihm die Kehle durch.«
Das klang ganz nach der Lorena, die ich gekannt hatte.
»Solomon war beeindruckt von ihrer Wildheit und erregt von dem frischen Blut. Er griff nach dem sterbenden Mann und saugte ihm das Blut aus, und als er die Leiche in den nächsten Hof warf, war Lorena beeindruckt und fasziniert. Sie wollte so sein wie er.«
»Das passte auch zu ihr.«
Judith lächelte leicht. »Sie war Analphabetin, aber hartnäckig und eine enorme Überlebenskünstlerin. Er war sehr viel intelligenter, jedoch nicht richtig geübt im Töten. Einiges hatte er zu der Zeit schon herausgefunden, und so gelang es ihm, sie zum Vampir zu machen. Manchmal tranken sie gegenseitig Blut voneinander, und das machte ihnen Mut, nach anderen von uns zu suchen und zu lernen, wie man gut leben konnte, statt bloß zu überleben. Die beiden übten, erfolgreiche Vampire zu sein, testeten die Grenzen ihres neuen Wesens aus und gaben ein hervorragendes Team ab.«
»Dann ist Solomon also Ihr Großvater, da er Lorena erschuf«, sagte ich neunmalklug. »Was geschah danach?«
»Irgendwann verblühte die Rose«, fuhr Judith fort. »Schöpfer und ihre Kinder bleiben länger zusammen als ein Paar mit rein sexueller Beziehung, aber nicht für immer. Lorena betrog Solomon. Sie wurde mit der halb ausgesaugten Leiche eines toten Kindes erwischt, doch es gelang ihr, ziemlich überzeugend eine Menschenfrau zu spielen. Den Männern, die sie aufgegriffen hatten, erzählte sie, dass Solomon es getötet und sie gezwungen habe, das Kind im Arm zu tragen. Deshalb sei sie so voller Blut. Solomon schaffte es gerade noch lebend aus der Stadt heraus - sie waren in Natchez, Mississippi gewesen. Lorena sah er nie wieder. Und Bill hat er auch nicht kennengelernt. Lorena traf erst nach dem Krieg zwischen den Bundesstaaten auf Bill.
Bill erzählte mir später, dass Lorena eines Nachts durch diese Gegend hier streifte. Damals war es viel schwieriger, sich zu verbergen, vor allem auf dem Land. Stimmt, es gab weniger Menschen, die einen aufstöbern konnten, und auch wenige oder gar keine Kommunikationsmöglichkeiten. Aber Fremde waren immer verdächtig, und aufgrund der dünneren Besiedlung gab es weniger Beute. Ein Toter fiel mehr auf, und die Leiche musste sehr gut versteckt oder der Tod sorgfältig inszeniert werden. Aber es gab ja zum Glück auch weniger Polizeikräfte.«
Ich ermahnte mich, keine Abscheu zu zeigen. Diese Dinge waren mir nicht neu. So hatten Vampire bis vor ein paar Jahren eben gelebt.
»Lorena sah Bill und seine Familie durch die Fenster ihres Hauses.« Judith wandte den Blick ab. »Und Lorena verliebte sich in ihn. Einige Nächte lang belauschte sie die Familie. Sie hatte sich im Wald ein Loch gegraben, in dem sie sich tagsüber begrub. Jede Nacht beobachtete sie die Familie, bis sie schließlich beschloss zu handeln. Sie begriff - sogar Lorena begriff das -, dass Bill es ihr nie verzeihen würde, wenn sie seine Kinder umbrachte. Deshalb wartete sie, bis er eines Nachts herauskam, um nachzusehen, warum der Hund nicht zu bellen aufhörte. Als Bill mit dem Gewehr aus dem Haus trat, schlich sie sich von hinten an ihn heran und schnappte sich ihn.«
Ich dachte daran, wie nahe Lorena meiner eigenen Familie gewesen war, gerade mal auf der anderen Seite des Waldes... Sie hätte genauso gut auch zu meinen Urururgroßeltern kommen können, und die ganze Geschichte meiner Familie wäre anders verlaufen.
»Sie machte ihn in dieser Nacht zum Vampir, begrub ihn und half ihm, sich drei Nächte später wieder zu erheben.«
Herrje, wie musste Bill sich gefühlt haben. Alles weg im Bruchteil einer Sekunde: sein Leben verloren und gewandelt und ihm in einer schrecklichen Form zurückgegeben.
»Sie hat ihn vermutlich von hier weggebracht«, sagte ich.
»Ja, das war wichtig. Und sie hatte auch einen Tod für ihn inszeniert. Sie schmierte sein Blut auf eine Lichtung und ließ sein Gewehr und Fetzen seiner Kleidung dort zurück. Bill erzählte mir, es habe ausgesehen, als hätte ihn ein Panther erwischt. So reisten sie zusammen umher, und obwohl er an sie gebunden war, hasste er sie. Er war todunglücklich bei ihr, doch sie blieb völlig vernarrt in ihn. Nach dreißig Jahren wollte sie ihn damit glücklich machen, dass sie eine Frau tötete, die seiner Ehefrau sehr ähnlich sah.«
»Oh
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