Vorgetäuscht: Liebesroman (German Edition)
Speckrollen und ein Doppelkinn hat? Bestimmt haben Sie auch Klientinnen, die echt fett und unsicher sind. Was sagen Sie denen denn?«
»Ich lasse sie die Situation beherrschen«, verriet er mir. »Indem ich es ihnen überlasse, darüber zu sprechen, oder ich berühre sie einfach, und sie vergessen es. Sie wollen eigentlichnur berührt, nur anerkannt werden. Und ich habe genug Figuren gesehen: Alle Köper sind irgendwie schön für mich.«
»Sie sind ein richtiger Kunstfreak, oder?«, sagte ich. Sekunden später merkte ich, wie dumm das klang, und bereute es.
»Sie wollen doch nur das Thema wechseln. Ziehen Sie das T-Shirt aus.«
Ich stand starr vor Schreck zwischen dem Spiegel und ihm.
»Sehen Sie, Andi«, sagte Devin. »Sie haben sich darauf eingelassen, mir zu vertrauen. Ich verspreche Ihnen, Sie in keiner Weise zu verletzen. Und wenn Ihnen irgendwas so unangenehm ist, dass Sie damit aufhören wollen, dann können Sie damit aufhören. Ich werde Sie nie dazu zwingen, irgendetwas zu tun, was Sie nicht wollen. Aber wenn Sie noch nicht mal Ihren kleinen Zeh ins kalte Wasser tunken, dann können Sie genauso gut nach Hause gehen, und wir zerreißen den Vertrag.«
Er hatte recht, irgendwo musste ich anfangen, und ich musste ihm vertrauen. Ich trug ein graues SCCC-T-Shirt und abgeschnittene Jeans. Die Träger meines weißen BHs (Body by Victoria) fielen mir von den Schultern, als ich langsam das T-Shirt über den Kopf zog und darauf achtete, nicht das Make-up zu verschmieren, was während der stickigen U-Bahn-Fahrt bestimmt sowieso schon geschehen war. Und da hob eine unterdrückte Erinnerung ihren hässlichen Kopf:
Fünfte Klasse, Krankenstation in der Schule. Vier Mädchen und ich sollen uns wegen einer Untersuchung bis auf die Unterwäsche ausziehen. Ein komischer blasser Mann mit grauen Haaren untersucht uns, eine Krankenschwester (auch eine Unbekannte) begleitet ihn. Wir sollen unsere Unterhemden hochheben und er zieht uns die Unterhosen herunter. (Aus welchem Grund? Ich kann mich nicht daran erinnern.) Sie wiegen und vermessen uns und verkünden die Ergebnisse laut. Ich bin die Schwerste, und die anderen Mädchen lachen mich aus, weil ich auch die Kleinste bin.
Devin schnitt den Erinnerungsfaden ab. »Schöner BH. Body by Victoria. Tragen Sie die passenden Höschen?«
»Nein«, antwortete ich ziemlich beklommen. »Die sind blau, aus Baumwolle.« Er forderte mich auf, ihn anzusehen, aber ich konnte ihm einfach nicht in die Augen blicken. Ich spürte, wie er mich von oben bis unten musterte, und wäre am liebsten aus meiner Haut geschlüpft. Ich suchte den Raum nach dem Ausgang ab.
»Sagen Sie mir, was Sie denken und fühlen, Andi.«
»Ich fühle mich mega unbehaglich«, gestand ich ihm. »Und ich denke, dass ich einen riesigen Scheißfehler gemacht habe, weil ich das hier mit Ihnen durchziehe, obwohl ich Sie kaum kenne.«
»Verständlich«, erwiderte er darauf. »Aber Sie hatten genug Scheißmut, um mich überhaupt zu fragen. Und das rechne ich Ihnen hoch an. Wirklich. Das ist nichts, was eine verklemmte Frau macht. Irgendwas in Ihnen will diese Angst und Unbehaglichkeit überwinden, sonst wären Sie gar nicht hier.«
Als er das sagte, entspannte ich mich ein klein wenig.
»Hören Sie einfach auf die Musik«, sagte er leise und beruhigend. »Wir sind hier zu zweit. Niemand sonst ist hier im Raum, niemand kann Sie verletzen, und Sie können jederzeit gehen. Aber bevor Sie gehen, hätte ich doch gern, dass Sie in den Spiegel sehen.«
Ich drehte mich um und sah mich im großen Spiegel an. Mein Bauch wölbte sich unter meinen Brüsten hervor, die vom BH angehoben und gehalten wurden. Meine Brüste waren groß und schlaff, mein Körper stämmig und klein. Mit schmalen Schultern, breitem Kreuz, zu kurzen Beinen und schlackernden Armen.
»Was sehen Sie?«, fragte er.
»Speckfalten«, erklärte ich. »Was sehen Sie?«
»Ich wette, wenn Sie vollkommen nackt hier posierenwürden, sähe Ihr Körper aus wie von Rubens gemalt. Wirklich, Andi. Sie sind üppig. Sie haben einen fleischigen Bauch, Sie haben Kurven, einen ausladenden Busen, Ihre Beine sind großartig, und die Proportionen stimmen.«
Sahen wir denselben Körper an? Ich warf Devins Spiegelbild einen misstrauischen Blick zu.
»Ach«, sagte ich. Sooo kann man es wahrscheinlich auch sehen, wenn man seinen Klientinnen schmeicheln will. Aber es war deutlich, dass er sich zu ärgern begann.
»Sage ich den Frauen, was sie hören wollen? Ja. Ist es deswegen
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