Neuengländern besteht im Verhältnis der Fußgänger zu den Autofahrern. Die Fußgänger sind überall gleich unhöflich, weil sie wissen, dass sie Vorrang haben, und sie üben dieses Recht aus, indem sie zu jeder Tages- und Nachtzeit die Straßen überqueren und erwarten, dass der Verkehr sofort anhält, niederkniet und sie anbetet – am liebsten würden sie mit erhobenen Fäusten ausrufen:
Ich bin Gott
. In Neuengland sind Autofahrer solche Memmen, dass sie anhalten. Aber New Yorker Fahrer gewähren ihnen dieses Recht nicht, sie behalten schon alleindeswegen die Oberhand, weil sie grundsätzlich 50 in einer 30er-Zone fahren. Wenn die Fußgänger sich für göttlich halten, bekennen sich die Fahrer dazu, Teufel zu sein.
(Außerdem gibt es bei uns besseren Käsekuchen, wenn ihr auch deutlich bessere Muschelsuppe macht …)
Andi
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[email protected] Betreff: Re: NY gegen NE
Andi,
was die Suppe angeht, hast Du allerdings recht. Ich wette, Du vermisst die Muschelsuppe. Ich wette, dir läuft das Wasser im Mund zusammen, wenn Du nur daran denkst. Wenn Du mich besuchen kommst (übrigens, wann kommst Du mich besuchen?), gehen wir in dieses kleine Eckcafé in Amherst, die so eine gute Suppe machen, dass Du nie wieder einen Gedanken an Deinen läppischen Käsekuchen verschwendest.
Ich finde, in New York gibt es nur wenige malerische Ecken. Sogar diese Restaurants, die Du mir in Sag Harbor beschrieben hast, hören sich nicht so altmodisch an, da können sie lange versuchen, es in die betreffenden Zeitschriften zu schaffen.
Sam
P. S. Und wann kommst Du mich besuchen?
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[email protected] Betreff: Re: NY gegen NE
Sam,
das Wort, das Dir gefehlt hat, ist kosmetisch oder vielleicht sogar kosmopolitisch. Ich weiß noch nicht einmal, ob altmodisch das richtige Wort ist. Wenn ich an Häuser in Neuengland denke, denke ich an Steinmauern und abblätternde Farbe. Klar,ihr habt jetzt auch mehr Sackgassen mit Vinyl-Hausverkleidungen in Dartmouth und Taunton, und mir sind auch immer mehr Landschaftsgärtner und immer weniger Rasenmähertrecker aufgefallen. Ich erinnere mich noch, wie ich am Anfang, als ich angekommen bin, über all die Rasenmähertrecker für Rasenflächen von der Größe meiner Unterrichtsräume gestaunt habe. Neuengland schien früher so eine pflegeleichte Gegend – was ist passiert?
Andi
P. S. Ich komme Dich morgen besuchen.
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[email protected] Betreff: Re: NY gegen NE
Andi,
die Red Sox haben die Weltmeisterschaft gewonnen, das ist passiert. Wir haben euch Yankees die Ärsche versohlt, dann haben wir die Cardinals fertiggemacht, uns betrunken und die Telefonmasten umgestürzt. Und jetzt fühlen wir uns euch gegenüber nicht mehr unterlegen. Wir haben uns die Erlaubnis gegeben, genauso überspannt zu sein wie ihr. Am Arsch mit dem Malerischen – wir sind die Weltmeister. Das ist es, und außerdem habt ihr Bloomberg zum Bürgermeister. Oder vielleicht wart ihr es selbst: Eure Vorstadtsnobs haben auf uns abgefärbt.
Sam
P. S. Wann kommst Du mich besuchen?
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[email protected] Betreff: Re: NY gegen NE
Nur sechs Worte: Die Yankees haben sechsundzwanzig Mal gesiegt.
Das kommt von Herzen.
Andi
P. S. Ich komme Dich morgen besuchen.
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[email protected] Betreff: Eine Frage
Liebe Andi,
was trägst Du in der Uni?
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[email protected] Betreff: Antwort
Lieber Sam,
ich schwöre, ich bin nur Professorin geworden, damit ich jeden Tag meine Bluejeans zur Arbeit anziehen kann. Du hättest mich mal als Kind sehen sollen, wie ich mit den Fäusten auf meine Mutter losgegangen bin, wenn sie versucht hat, mir ein Kleid anzuziehen, und das war jeden Sonntag zur Kirche der Fall, zur Erstkommunion, zu Konfirmationen, Hochzeiten und Begräbnissen und, was am schlimmsten war, an den Tagen, wenn der Schulfotograf kam. Diese Tage konnte ich nicht ausstehen, außerdem hing meine Mutter sowieso immer das Porträtfoto von mir auf, auf dem gerade noch die Schultern zu sehen waren. Da ich aber eine der Kleinsten in der Klasse war, musste ich immer mit gekreuzten Beinen in der ersten Reihe sitzen, und das hieß unweigerlich ein Kleid oder einen Rock.
Aber ich komme vom Thema ab. Ja, meine Bluejeans: ausgeblichen. Bequem. Lässig. Passen zu allen meinen Schuhen. Jeder sieht gut aus in Bluejeans, findest Du