Vorgetäuscht: Liebesroman (German Edition)
Jahrhunderts«. Ein Dozent hieß Sam Vanzant, er war Professor am Edmund College in Amherst, nicht weit von der Northampton University, einer der drei Unis, an denen ich mich gerade beworben hatte. Bereits als Doktorandin war ich auf einige seiner Beiträge in einer Zeitschrift für den Schreibunterricht am College gestoßen, ohne ihn persönlich kennengelernt zu haben. Als er zum Rednerpodest ging, bemerkte ich, dass er bei meinem Referat vor zwei Tagen unter den Zuhörern gewesen war.
Bei den beiden vorangegangenen Vorträgen hatte ich Konzentrationsschwierigkeiten gehabt, weil mir mehr als bewusst war, dass Andrew – oder Tanya – jetzt gerade im Zimmer nebenan sprachen. Aber Dr. Vanzant nahm sofort meine ganze Aufmerksamkeit in Anspruch und ich vergaß Andrew vollkommen. Er sah außerordentlich gut aus: hohe Wangenknochen, ausdrucksvolle blaue Augen, kurze Haare und sehr groß. Er sah Rob Lowe ähnlich. Ich war mir nicht sicher, aber ich bildete mir ein, dass er lächelte, wenn er in meine Richtung sah. Und er schien ziemlich oft in meine Richtung zu sehen.
Während der Frageperiode wollte jemand mehr über
die Plausibilität der Festlegung der Grenzen der schreibdidaktischen Unterteilungen der Schreibformen – Erzählung, Beschreibung und Argumentation
– erfahren (und die Frage klang ähnlich wie meine unsinnige Fantasiefrage an Andrew). Ich kritzelte gerade irgendwelche Notizen auf meinen Block, darunter auch
nicht schon wieder dieser schreibdidaktische Müll.
»Dr. Cutrone kann diese Frage besser beantworten, denn sie hat in dieser Woche ein Referat über Rhetorik und den persönlichen Essay gehalten«, sagte er.
Er nickte in meine Richtung, und alle Leute sahen mich an. Ich kam mir vor wie ein geblendetes Reh. Ich ließ den Stift fallen, der einen klackenden Tanz auf den Dielen aufführte (natürlich war nur dieser Raum im Hotel nicht mit einem Teppich ausgelegt), gefolgt von dem Zischen meiner Wasserflasche (zum Glück geschlossen), die ich umwarf, als ich nach dem Stift angelte. Maggie saß neben mir, strahlte und flötete: »Ja, Andi, sag es ihnen!«
»Na ja, zum einen …«, begann ich zögerlich und holte tief Luft. »… handelte mein Referat von der sozialen Stellungnahme persönlicher Essays … Aber ich würde sagen, die Antwort auf die Frage ist, dass die Unterteilung
nicht mehr plausibel
ist.«
»Was meinen Sie damit, dass sie
nicht mehr plausibel
ist?«, fragte die Teilnehmerin sichtlich verärgert. Das war offensichtlich nicht die Antwort, die sie hören wollte.
»Sie denken wie Bill Gates«, antwortete ich. »Er hat versucht, alte Software einzubauen, weil alle seit Jahren dieselben Windows-Anwendungen benutzen, und deshalb hat er gedacht, er müsse es tun, damit es den Leuten gefällt. Warum sollte man nicht sagen:
Die Leute sind mir egal – wir fangen ganz von vorne an?
Es gibt nur einen Grund, warum wir immer noch über diese Unterteilungen sprechen und versuchen, sie in unsere Theorien mit einzubeziehen. Wir sollten uns doch mal fragen, wer dahintersteckt? Der Lehrstuhlinhaber, der keine Veränderungen mag? Der Lehrbeauftragte, der seit zwanzig Jahren denselben Stiefel durchzieht und seitdem keine Zeitschrift mehr gelesen hat, oder der Neuling, der gerade ins kalte Wasser gesprungen ist und mit nicht viel mehr als einem Lehrplan vor den Studenten steht? Die Lehrbuchverlage, die die achtzigsteAusgabe ihrer klassischen Rhetorik in den Markt drücken wollen, weil das ihr wirtschaftliches Zugpferd ist? Es ist absurd und nutzlos.«
Damit hatte ich zwischen den Rednern auf dem Podium und den standhaften Vertretern der starren Grenzen zwischen Erzählung, Beschreibung und Argumentation, die meinen Angriff auf die Plausibilität der Grenzen nicht plausibel fanden, eine Schlacht entfacht. Außerdem zankten sich in den hinteren Reihen Macintosh-Loyalisten mit Windows-Traditionalisten. Ich war zusammengesackt, sah nach unten und sagte nichts mehr. Sam Vanzant war still und sah dem rhetorischen Tennisspiel mit kindlichem Vergnügen zu. Schließlich verkündete der Moderator, dass die Zeit bereits überschritten sei.
Als die Teilnehmer langsam den Raum verließen, warfen mir einige böse Blicke zu, während mir andere die Hand schüttelten und erklärten, wie gerne sie an meinem Workshop teilgenommen hätten. Maggie nahm die Gelegenheit wahr, um einen Werbeblock für unser Lehrbuch einzublenden. Ich klaubte meine Sachen zusammen – den Block, die Seminarpapiere, das
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