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Vorhang auf für eine Leiche

Vorhang auf für eine Leiche

Titel: Vorhang auf für eine Leiche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alan Bradley
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Phyllis Wyvern und lächelte gekünstelt. »Wahrscheinlich behauptet sie gleich, sie hätte den Anschluss in Paddington verpasst. Das sagt sie immer.«
    »Ich mache ihr eine schöne Tasse Tee«, sagte Mrs Mullet. »Im Zug wird einem immer ganz blümerant, jedenfalls ist das bei mir so.«
    Mir flüsterte sie ins Ohr: »Vom Zugfahren krieg ich immer Dünnpfiff.«
    Kurz darauf kam Dogger wieder. Er brachte eine rundliche kleine Frau mit Nickelbrille mit, die ihr Haar zu einer großen Kugel festgezurrt hatte. Es erinnerte mich irgendwie an den Schwanz von Ajax, dem Pferd, das meinem Ahnherrn Florizel de Luce gehört hatte. Beide, Florizel und Ajax, hängen inzwischen in Öl verewigt in unserer Bildergalerie.
    »Tut mir schrecklich leid, dass ich zu spät komme, Miss Wyvern«, entschuldigte sich die kleine Frau. »Das Taxi ist falsch abgebogen, und dann habe ich den Anschluss in Paddington verpasst.«
    Phyllis Wyvern schaute triumphierend in die Runde, sagte aber nichts.
    Mir tat das kleine Wesen eher leid. Jetzt, nach näherer Betrachtung erinnerte sie mich eher an eine verirrte Kanonenkugel.
    »Ich bin übrigens Bun Keats«, sagte die Frau und nickte uns zu. »Ich bin Miss Wyverns persönliche Assistentin.«
    »Bun ist meine Garderobiere. Aber sie fühlt sich zu Höherem berufen«, sagte Phyllis Wyvern in theatralischem Tonfall, sodass ich nicht sicher war, ob ihre Bemerkung nur neckisch gemeint war.
    »Jetzt aber Beeilung, Bun«, fügte sie hinzu. »Hoppla-dihopp! Meine Kleider müssen noch ausgepackt werden. Und wenn das rosafarbene wieder zerknittert ist, drehe ich dir mit Freuden den Hals um.«
    Es klang scherzhaft, doch Bun Keats lächelte nicht.
    »Sind Sie mit dem Dichter verwandt, Miss Keats?«, platzte ich heraus, weil ich die Stimmung retten wollte.
    Daffy hatte mir einmal die »Ode an eine Nachtigall« vorgelesen, und die Stelle mit dem Schierlingstrank hatte sich mir unauslöschlich eingeprägt.
    »Nur sehr weitläufig«, antwortete sie, dann war sie draußen.
    »Die arme Bun«, sagte Phyllis Wyvern. »Sie gibt sich ja alle Mühe … wirklich.«
    »Ich kann ihr ja helfen«, sagte Dogger und machte einen Schritt in Richtung Tür.
    »Nein!«
    Einen Augenblick – nur einen winzigen Augenblick – verwandelte sich Phyllis Wyverns Gesicht in eine griechische Maske, mit aufgerissenen Augen und verzerrtem Mund. Dann glätteten sich ihre Züge wieder, und sie lächelte unbekümmert.
    »Nein«, wiederholte sie leise. »Bitte nicht. Bun muss ihre kleine Lektion lernen.«
    Ich versuchte, Doggers Blick aufzufangen, aber er war schon hinausgegangen, und man hörte ihn in der Anrichtekammer kramen.
    Mrs Mullet drehte sich um und polierte emsig die Abdeckung des AGA-Herdes.
     
    Als ich die Treppe hochging, kam mir das Haus irgendwie noch kälter vor. Ich blickte durch die hohen, vorhanglosen Fenster meines Labors auf die Laster von Ilium Films, die sich um die roten Ziegelmauern des Küchengartens wie Elefanten um ein Wasserloch geschart hatten.
    Das dazugehörige Personal erledigte seine Aufgaben in einem gut einstudierten Ballett. Die Männer hoben, verschoben und entluden große Holzkisten, wobei immer zwei Hände am richtigen Ort zur Stelle waren. Man sah sofort, dass sie diese Arbeit nicht zum ersten Mal machten.
    Ich wärmte mir die Hände über dem Bunsenbrenner, brachte dann ein Reagenzglas mit Milch zum Kochen und rührte einen gehäuften Löffel Ovomaltine hinein. Um diese Jahreszeit brauchte man keinen Kühlschrank, um die Milch frisch zu halten. Ich stellte die Flasche einfach aufs Regal, alphabetisch korrekt zwischen Mangan und Morphin, wobei letztere Flasche fein säuberlich mit Onkel Tarquins Krakelhandschrift beschriftet war.
    Onkel Tar war unter ungeklärten Umständen aus Oxford hinausgeflogen, kurz bevor er sein Studium abschließen konnte. Als Entschädigung hatte ihm sein Vater ein hervorragend ausgestattetes Chemielabor einrichten lassen, in dem Onkel Tar aus freien Stücken den Rest seines Lebens mit Forschungen von angeblich höchster Geheimhaltungsstufe verbrachte. Ich hatte in seinen Unterlagen mehrere Briefe gefunden, aus denen man schließen konnte, dass er dem jungen Winston Churchill sowohl als Freund als auch als Ratgeber zur Seite gestanden hatte.
    Während ich meine Ovomaltine trank, betrachtete ich das Gemälde über dem Kamin: eine schöne junge Frau mit zwei Mädchen und einem Baby. Die Mädchen waren meine Schwestern Ophelia und Daphne. Das Baby war ich. Die Frau war natürlich

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