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Vorhang auf für eine Leiche

Vorhang auf für eine Leiche

Titel: Vorhang auf für eine Leiche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alan Bradley
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meinem Zimmer zu füllen. Hinterher musste sie umständlich wieder ausgeschöpft und das Badewasser ins WC im Westflügel oder in einen der Abflüsse in meinem Labor gegossen werden. Wie man es auch drehte und wendete, die ganze Angelegenheit raubte einem den letzten Nerv.
    Außerdem hatte mir die Vorstellung, dass schmutziges Badewasser in mein sanctum sanctorum , mein Allerheiligstes, gebracht wurde, noch nie behagt. Es kam mir blasphemisch vor.
    Die Lösung lag auf der Hand: Ich würde in Harriets Boudoir baden.
    Warum war ich nicht schon eher darauf gekommen?
    In Harriets Suite stand eine schöne alte Badewanne mit Löwenfüßen, über die ein hoher Baldachin aus weißem Musselin drapiert war. Außerdem war die Wanne wie eine alte Dampflok mit lauter interessanten Hähnen, Griffen und Ventilen ausgestattet, mit denen man die Einlassmenge und die Wassertemperatur regulieren konnte.
    Da konnte einem das Baden beinahe Spaß machen!
    Schon auf dem Flur freute ich mich, dass mein fröstelnder Körper schon bald bis zu den Ohren in wohlig warmem Schaum liegen würde.
    Vor der Tür blieb ich stehen und lauschte vorsichtshalber.
    Tatsächlich! Jemand war in Harriets Bad! Und dieser Jemand sang!
    »O! könnt’ ich fliegen wie Tauben dahin,
Weit hinweg vor dem Feinde zu flieh’n!
In die Wüste eilt’ ich dann fort,
Fände Ruhe am schattigen Ort …«
    Ich drückte die Tür einen Spalt auf und schlüpfte hinein.
    »Bist du das, Bun? Reich mir doch bitte meinen Bademantel. Er hängt an der Tür, auf der anderen Seite. Und wenn du schon dabei bist: Ein kleines Gluckedigluck wäre genau das, was der Doktor der armen Patientin verschreiben würde.«
    Ich rührte mich nicht von der Stelle.
    »Bun?«
    In der Stimme lag jetzt ein kaum merklicher ängstlicher Unterton.
    »Ich bin’s, Miss Wyvern – Flavia.«
    »Um Himmels willen, wieso schleichst du dich denn so an? Willst du mich zu Tode erschrecken? Komm rein, damit ich dich sehen kann.«
    Ich schob mich um die halb offene Tür herum.
    Phyllis Wyvern lag bis zu den Schultern im dampfenden Wasser. Ihr hoch aufgetürmtes Haar erinnerte an einen Heuhaufen im Regen. Ich musste mir eingestehen, dass sie so gar nicht nach der Frau aussah, die ich auf der Kinoleinwand gesehen hatte. Zum einen war sie ungeschminkt. Und zum anderen hatte sie Falten.
    Offen gestanden kam ich mir vor, als hätte ich eine Hexe mitten in der Verwandlung überrascht.
    »Klapp den Deckel runter und leiste mir Gesellschaft.« Sie zeigte auf die Toilette.
    Ich gehorchte.
    Ich brachte es nicht über mich … nein, ich war zu feige, ihr zu sagen, dass der Zutritt zu Harriets Boudoir streng verboten war. Andererseits konnte sie es schließlich nicht wissen. Dogger hatte nur mit Patrick McNulty gesprochen. McNulty, der sich jetzt auf dem Weg ins Krankenhaus befand und wahrscheinlich nicht mehr dazu gekommen war, Miss Wyvern Bescheid zu sagen.
    Ich schaute mir dabei zu, wie ich ehrfürchtig den berühmtesten Filmstar der Welt betrachtete … der Galaxis … des Universums!
    »Was starrst du mich so an?«, fragte Phyllis Wyvern plötzlich. »Wunderst du dich, dass ich Falten habe?«
    Ausnahmsweise fiel mir keine diplomatische Antwort ein.
    Ich nickte.
    »Für wie alt hältst du mich?«, fragte sie und nahm eine lange Zigarettenspitze vom Badewannenrand. Der Rauch war bei dem Dampf nicht zu sehen gewesen.
    Ich überlegte gründlich, bevor ich antwortete. Eine zu niedrige Zahl würde sie sofort als Schmeichelei entlarven. Schätzte ich zu hoch, kam es einer Katastrophe gleich. Die Chancen standen gegen mich. Wenn ich ihr Alter nicht genau traf, konnte ich nicht gewinnen.
    »Siebenunddreißig«, sagte ich.
    Sie stieß den Rauch aus wie ein Drache.
    »Gott segne dich, Flavia de Luce! Volltreffer! Eine siebenunddreißigjährige Füllung in einer neunundfünfzigjährigen Wurstpelle. Aber ich habe immer noch genug Pfeffer im Leib.«
    Sie lachte heiser, und ich begriff, weshalb alle Welt in sie verliebt war.
    Dann warf sie einen kissengroßen Badeschwamm ins Wasser und drückte ihn über ihrem Kopf aus. Das Wasser lief ihr übers Gesicht und tropfte ihr vom Kinn.
    »Guck mal! Ich bin die Niagarafälle!«, sagte sie und zog eine Grimasse.
    Ich musste laut lachen.
    Dann stand sie auf.
    Im selben Augenblick, als spielten wir in einem der komödiantischen Zweiakter mit, wie sie der Theaterklub von St. Tankred im Gemeindesaal aufführte, sagte jemand im Vorraum: »Was in drei Teufels Namen treibst du da?«
    Es war

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