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Vorhang auf für eine Leiche

Vorhang auf für eine Leiche

Titel: Vorhang auf für eine Leiche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alan Bradley
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und die Kiste, die inzwischen gefährlich kippelte.
    Die Geste hatte etwas seltsam Biblisches. Das mochte auch an Doggers ruhigem Ton liegen.
    McNultys blutige Finger umfassten Doggers Hand.
    »Nicht so fest«, sagte Dogger. »Sonst zerquetschen Sie mir die Hand.«
    Ein dümmliches Grinsen breitete sich auf McNultys Gesicht aus.
    Dogger öffnete die obere Hälfte von McNultys dicker Jacke und schob seine Hand in den Ärmel. Zentimeter für Zentimeter tastete er sich zu der eingequetschten Stelle vor.
    »Sie haben doch gesagt, Sie wären ein Meister aller Klassen, Mr McNulty«, sagte Dogger. »Welche ›Klasse‹ meinten Sie da im Besonderen?«
    Die Frage kam mir seltsam vor, aber McNultys Blick wanderte von mir zu Dogger.
    »Schreinern«, antwortete er mit zusammengebissenen Zähnen. Man sah ihm an, dass er furchtbare Schmerzen litt. »Elektrik … Klempnerei … technische Zeichnungen …«
    Der kalte Schweiß stand ihm auf der Stirn.
    »Noch was?«, fragte Dogger, der immer noch mit McNultys Arm beschäftigt war.
    »Ein bisschen Werkzeugmacherei«, fuhr McNulty fort und fügte dann, beinahe entschuldigend, hinzu: »Ich hab zu Hause eine Drechselbank …«
    »Tatsächlich!« Dogger machte ein erstauntes Gesicht.
    »… da baue ich Modelldampfmaschinen.«
    »Ach!«, sagte Dogger. »Dampfmaschinen also. Dampfloks, landwirtschaftliche Maschinen oder stationäre?«
    »Stationäre«, stieß McNulty zwischen den Zähnen hervor. »Mit … kleinen Messingpfeifen und … Reglern.«
    Dogger löste das Tuch von McNultys Hals und drehte es rasch und fest um den oberen Teil des eingeklemmten Arms.
    »Jetzt!«, sagte er dann laut, und hundert helfende Hände, so schien es, packten plötzlich die Kiste.
    »Langsam! Gleichmäßig!«, raunten die Männer einander zu – nicht, weil es dieser Ermahnungen bedurft hätte, sondern wie bei einem Ritual zum Bewegen schwerer Gegenstände.
    Und dann hatten sie die Kiste auf einmal ziemlich rasch weggezogen, und das so mühelos, als handelte es sich um ein Bauklötzchen.
    »Trage«, rief Dogger, und sofort erschien eine Trage. Die müssen diese Dinger ständig und überall dabeihaben, dachte ich.
    »Bringt ihn in die Küche«, sagte Dogger, und schneller, als man es erzählen kann, stützte sich McNulty, in dicke Decken eingewickelt, auf dem gesunden Ellbogen vom Küchenboden auf und nippte an dem von Mrs Mullet dargereichten heißen Tee.
    »Wird schon wieder«, sagte er und zwinkerte mir zu.
    »Und jetzt sei so gut, Miss Flavia«, sagte Dogger, »und ruf Dr. Darby an.«
     
    »Mhm«, brummte Dr. Darby und fischte mit zwei Fingern ein Gletschereisbonbon aus der Papiertüte, die er immer in der Manteltasche hatte.
    »Wir bringen Sie am besten ins Krankenhaus, dort kann ich mir Ihren Arm besser anschauen. Röntgen und so weiter. Ich fahre sowieso dorthin, da kann ich Sie auch gleich mitnehmen.«
    McNulty stand mit schmerzverzerrtem Gesicht vom Küchenstuhl auf. Sein von der Schulter bis zu den Knöcheln bandagierter Arm lag in einer Schlinge.
    »Geht schon«, knurrte er, als sich ihm hilfreiche Hände entgegenstreckten.
    »Legen Sie den anderen Arm um meine Schulter«, forderte ihn Dr. Darby auf. »Die Leute hier verstehen bestimmt, dass es damit nichts weiter auf sich hat.«
    Die Männer vom Filmstudio, die sich in einer Ecke drängten, lachten laut darüber, als hätte der Doktor einen Riesenwitz gemacht.
    Ich sah zu, wie McNulty und Dr. Darby die Eingangshalle durchquerten.
    »So ein Pech aber auch!«, murrte einer der Männer, als sie draußen waren. »Wie sollen wir ohne Pat klarkommen?«
    »Latshaw muss übernehmen, oder?«, sagte ein anderer.
    »Muss wohl.«
    »Dann gnade uns Gott«, erwiderte der Erste und spuckte allen Ernstes auf den Küchenboden.
    Erst jetzt fiel mir auf, wie kalt es war. Mir lief ein nachträglicher Schauer über den Rücken, der Mrs Mullet natürlich nicht entging. Sie kam gerade aus der Speisekammer.
    »Ab nach oben mit dir, Schätzchen, und gleich in die heiße Wanne. Der Colonel macht Dogger und mir die Hölle heiß, wenn er heimkommt und spitzkriegt, dass du halb nackt draußen im Schnee rumspaziert bist. Jetzt saus schon los!«

4
    S chon auf der untersten Treppenstufe kam mir eine geniale Idee.
    Selbst im Sommer war für ein Bad im Ostflügel die Logistik einer größeren militärischen Operation erforderlich. Dogger musste jedes Mal eimerweise Wasser aus der Küche oder aus dem Westflügel herbeischleppen, um damit die zinnerne Sitzbadewanne in

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