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Vorhang auf für eine Leiche

Vorhang auf für eine Leiche

Titel: Vorhang auf für eine Leiche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alan Bradley
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übernommen.
    »Ruf doch bitte Bert Archer von der Werkstatt an«, hatte er Cynthia gebeten. »Sag ihm, er soll mit seinem Abschleppwagen herkommen. Wenn du Bert nicht erreichst, hinterlässt du bei Nettie Runciman vom Amt eine Nachricht für ihn.«
    Cynthia nickte und marschierte entschlossen zum Telefon.
    »Mrs Mullet … ich habe Sie doch vorhin hier gesehen … Mrs Mullet, wäre es wohl möglich, Tee zu kochen, und für die Kleinen vielleicht Kakao?«
    Stolz darauf, unter den Ersten zu sein, deren Dienste benötigt wurden, verschwand Mrs Mullet in der Küche. Cynthia kam zurück.
    »Nichts zu machen – die Leitung ist tot«, verkündete sie mit Grabesstimme.
    »Tja …«, sagte der Vikar, »dann müssen wir wohl noch eine Weile hierbleiben. Lasst uns das Beste draus machen.«
    Man war sich erstaunlich schnell einig, dass sich zunächst die Zuschauer mit Kindern bei den Filmleuten im ersten Stock einquartieren sollten.
    Vater ließ sich nur einmal kurz blicken und brachte das Manöver mit knappen Handbewegungen und ein paar mit dem Vikar gewechselten Worten so zügig in Gang, als handelte es sich um eine generalstabsmäßig geplante Militärübung. Anschließend hatte er sich wieder in sein Arbeitszimmer zurückgezogen.
    Wer nicht oben untergebracht werden konnte, musste sich in der Eingangshalle ein Lager herrichten. Kissen und Decken, die seit Harriets Zeiten nicht mehr benutzt worden waren, wurden aus den Wäscheschränken herbeigeschleppt und an die Gestrandeten ausgeteilt.
    »Wir machen es einfach wie damals«, sagte der Vikar und rieb sich geschäftig die Hände. »Wie im Krieg, in den Luftschutzbunkern. Wir betrachten es als Abenteuer. Es ist ja nicht so, als hätten wir so etwas noch nie mitgemacht.«
    In seinem Tonfall schwang mehr als nur ein Hauch von Winston Churchill mit.
    Der Vikar organisierte ein paar Spiele für die Kinder: Kämmerchen vermieten, Blindekuh und Verstecken. Die Preise stiftete Dr. Darby, weshalb es natürlich Gletschereisbonbons zu gewinnen gab.
    Die Erwachsenen standen plaudernd und leise lachend daneben.
    Nach einer Weile ging man zu ruhigeren Aktivitäten wie Ratespielen über.
    Doch je später der Abend wurde, desto mehr schwand die aufgesetzte Fröhlichkeit. Der eine oder andere gähnte, anfangs noch verstohlen, dann ganz offen ohne Rücksicht auf die feine englische Art.
    Die Kinder schliefen ein, und ihre Eltern taten es ihnen alsbald nach. Es dauerte nicht lange, dann ruhten die meisten der zwangsumgesiedelten Dorfbewohner aus Bishop’s Lacey fest in den Fängen des Schlafes.
     
    Als ich mich mutterseelenallein in den eisigen Weiten des Ostflügels unter mein Federbett kuschelte, hörte ich noch eine Weile das gedämpfte Gemurmel vereinzelter Gespräche wie das Summen in einem fernen Bienenstock.
    Nach und nach erstarb auch das, und nur noch gelegentliches Husten drang an meine Ohren.
    Obwohl es ein langer Tag gewesen war, konnte ich nicht einschlafen. Vor meinem geistigen Auge sah ich die über die Eingangshalle verstreuten, vermummten Dorfbewohner: schlummernde Hügel unter ihren Decken, wie Grasbuckel auf einem Dorffriedhof.
    Ich wälzte mich stundenlang hin und her, aber es nützte nichts. Inzwischen waren bestimmt alle eingeschlafen, sodass ich niemanden stören würde, wenn ich zum Treppenabsatz schlich und nach unten spähte. Da uns inzwischen die Bedrohung im Nacken saß, dass Vater den Kampf gegen das Finanzamt verlieren könnte, sammelte ich schon Bilder für später, wenn ich eine alte Dame sein würde – wenn ich in meinen Erinnerungen an Buckshaw kramen konnte, als blätterte ich in einem verstaubten Fotoalbum.
    »Ach ja«, würde ich mit zittriger Greisinnenstimme sagen, »ich weiß noch gut, wie wir damals am Weihnachtsabend eingeschneit waren. An jenem Winterabend, an dem Bishop’s Lacey nach Buckshaw kam.«
    Ich stieg aus dem Bett und in meine tiefgekühlten Klamotten.
    Dann schlich ich den Flur entlang und blieb ab und zu lauschend stehen.
    Stille.
    Schließlich stand ich auf dem Treppenabsatz und blickte auf die improvisierte Herberge hinunter.
    Vielleicht lag es daran, dass Weihnachten vor der Tür stand, aber die vielen zusammengekauerten Gestalten hatten etwas seltsam Rührendes, als wäre ich eine Flugzeugpilotin oder ein Engel oder Gott höchstpersönlich, der von oben auf die hilflosen, schlafenden Menschlein hinabschaute.
    Von irgendwo weither, aus dem Westflügel, war leise Musik zu hören, unterbrochen von unwirklichen Stimmen.
    So still

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