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Vorhang auf für eine Leiche

Vorhang auf für eine Leiche

Titel: Vorhang auf für eine Leiche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alan Bradley
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Die sind die einzigen erträglichen Passagen aus Romeo und Julia.
    Wir hatten uns das gesamte Stück schon einmal in voller Länge an einem der von Vater verordneten donnerstäglichen Radioabende anhören müssen. Seinerzeit war ich zu dem Schluss gekommen, dass Shakespeare zwar gut mit Worten umgehen konnte, von Giften hingegen keinen blassen Schimmer hatte.
    Der Unterschied zwischen Giften und Betäubungsmitteln schien ihm entgangen zu sein, und was die pflanzlichen und mineralischen Wirkstoffe angeht, die auf Gehirn und Rückenmark einwirken, war er völlig auf dem Holzweg.
    Trotz des wortreichen Hokuspokus von wegen Kräutersammeln bei Mondlicht deuten Julias Symptome darauf hin, dass sie einfach nur die gute alte Blausäure eingenommen hat, aufgelöst in einem Glas Wasser.
    Schluss, aus, Ende, Amen.
    Inzwischen nahmen Phyllis und Desmond Duncan ihren Applaus entgegen. Einander wie Hänsel und Gretel an den Händen haltend, traten sie ein paar Schritte auf die Zuschauer zu, gingen dann wieder rückwärts und kamen wieder nach vorn, wie Wellen, die an den Strand schlagen.
    Mit vor Freude oder etwas in der Art geröteten Gesichtern schwitzten sie ungehemmt, und aus der Nähe wirkte ihre Schminke im Scheinwerferlicht mit einem Mal fast gespenstisch.
    Phyllis Wyvern stand dicht vor Ned. Er hatte den Mund aufgerissen wie eine Flunder am Stand des Fischhändlers, und Mary musste ihm einen Rippenstoß verpassen.
    Als ich zufällig nach oben schaute, sah ich eine schemenhafte Gestalt auf dem obersten Treppenabsatz verschwinden, gleich über Julias improvisiertem Balkon.
    Ich bekam einen Schreck. Die Gestalt war Dogger. Er musste schon die ganze Zeit über dort oben gestanden haben.

11
    A ls das Licht wieder anging, konnte ich das versammelte Publikum zum ersten Mal richtig betrachten.
    In der vorletzten Reihe saß mit seligem Gesicht Dieter. Neben ihm kaute Dr. Darby ein Gletschereisbonbon, und hinter dem Doktor saßen Mrs Mullet und ihr Mann Alf.
    Alle schienen noch wie in Trance gefangen, sahen sich verwundert und benommen um, als staunten sie darüber, dass sie immer noch in den gleichen Körpern wie vorher steckten.
    Vermutlich handelt es sich beim Theater um eine Art Massen-Mesmerismus. In dem Fall war Shakespeare trotz seiner mangelnden Kenntnisse auf dem Gebiet der Chemie einer der größten Hypnotiseure aller Zeiten.
    Ich war soeben Zeugin geworden, wie ein Zauber gewoben, von einer Ohrfeige wieder gebrochen und anschließend ein zweites Mal gewoben worden war, und das mit der gleichen Mühelosigkeit, mit der eine Oma Socken stopft. Es war wirklich verblüffend, und wenn man näher darüber nachdachte, war es sogar ein verflixtes Wunder!
    Die Schauspieler hatten sich zurückgezogen, um sich abzuschminken, und die Filmleute waren in den oberen Gefilden des Hauses verschwunden, um zu tun, was man nach einer Aufführung eben tat. Sie mischten sich nicht unter das Publikum, aber das gehörte vermutlich auch zu der zauberischen Wirkung.
    Plötzlich wehte es eiskalt durch die Halle. Jemand hatte die Tür aufgemacht, um frische Luft hereinzulassen, und einen leisen Schrei ausgestoßen. Weitere unterdrückte Schreie folgten, und auf einmal drängten alle, ich natürlich mittendrin, zur Tür, um hinauszuschauen.
    Während der Aufführung war ein schneidender Wind aufgekommen, der eine hüfthohe Schneewehe vor die Haustür gepustet hatte.
    Man sah auf einen Blick, dass an diesem Abend – Traktor hin, Schlitten her – niemand mehr nach Bishop’s Lacey zurückkehren würde.
    Dieter war immerhin so mutig, es wenigstens zu versuchen. Er hüllte sich in seinen schweren Mantel, kletterte über den weißen Berg und war kurz darauf in der Dunkelheit verschwunden.
    »Tom McGully kann doch mit seinem Schneepflug kommen. Wir rufen ihn an«, schlug jemand vor.
    »Das hat keinen Zweck«, kam eine Stimme von weiter hinten. »Ich bin doch schon hier.«
    Nervöses Lachen brandete auf, als Tom nach vorn kam und mit uns anderen neugierig aus der Tür nach draußen spähte.
    »Donnerwetter – das ist wirklich ’ne Menge Schnee«, sagte er und machte die Sache damit sozusagen amtlich. »Eine mordsmäßige Menge Schnee.«
    Mehrere Damen griffen sich erschrocken an die Kehle. Die Männer wechselten mit ausdruckslosen Mienen kurze Blicke.
    Zehn Minuten darauf kam Dieter schneeverkrustet und kopfschüttelnd zurück.
    »Der Traktor springt nicht an. Die Batterie ist erledigt.« Wie gewöhnlich hatte der Vikar das Kommando

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