Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Vorhang auf für eine Leiche

Vorhang auf für eine Leiche

Titel: Vorhang auf für eine Leiche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alan Bradley
Vom Netzwerk:
ich gehorchte wohl oder übel.
    Vaters Geschichten von seinen Zauberkunststückchen als Junge fielen mir ein, und so versuchte ich wohl oder übel, das zusammengeknüllte Blatt aus Phyllis Wyverns Stiefel »in der Hand verschwinden zu lassen«, wie Vater es, glaube ich, genannt hatte, indem ich es mit dem Daumen gegen die Handfläche drückte.
    »Vielen Dank«, sagte der Inspektor und streckte die Hand aus. Dieses Spiel hatte ich haushoch verloren.
    Ich reichte ihm das Blatt.
    »Die andere Tasche, bitte.«
    »Da ist bloß Müll drin«, sagte ich ihm. »Nur lauter …«
    »Das entscheide ich«, unterbrach er mich. »Her damit.«
    Ich sah ihm fest in die Augen, als ich die Tasche umdrehte. Ein kleiner Sturzbach aus Farbkrümeln ergoss sich in beklemmender Stille auf den Boden.
    »Warum machst du das, Flavia?«, fragte der Inspektor in plötzlich verändertem Ton, den Blick auf die Sauerei gerichtet, die ich auf dem Teppich veranstaltet hatte. Ich glaube nicht, dass ich ihn schon einmal mit so schmerzgepeinigtem Gesicht erlebt hatte.
    »Was denn?«
    Ich konnte einfach nicht anders.
    »Lügen. Warum denkst du dir andauernd irgendwelche haarsträubenden Geschichten aus?«
    Darüber hatte ich auch schon oft nachgegrübelt, und obwohl ich eine Antwort parat gehabt hätte, fühlte ich mich nicht verpflichtet, sie ihm aufzutischen.
    »Das ist so …«, hätte ich sagen können. »Es gibt Menschen, die sich Geschichten ausdenken, weil ringsum alles Sichtbare und Unsichtbare in die Brüche geht. Wir sind wie die Steinmetze von Babylon, die immer weiterarbeiten, wie es im Buch Jeremia steht, um die Stadtmauern zu verstärken.«
    Das erzählte ich natürlich nicht. Stattdessen sagte ich: »Keine Ahnung.«
    »Wie kann ich dir nur endlich klarmachen …«, setzte er an, faltete gleichzeitig das Papier auseinander und warf einen Blick darauf. »Wo hast du das her?«
    »Aus Phyllis Wyverns Schuh«, antwortete ich, wobei ich absichtlich nicht erwähnte, dass es sich um einen Stiefel handelte. »Aus dem rechten. Sie hatten den Zettel offenbar übersehen.«
    Ich konnte gut nachvollziehen, in welcher Zwickmühle er steckte: Er konnte seinen Untergebenen – und seinen Vorgesetzten  – wohl kaum erzählen, er hätte das Blatt selbst gefunden.
    »Zwischen den Zimmern gibt es nämlich eine Verbindungstür«, sagte ich hilfsbereit. »Weil ich ja wusste, dass Sie Ihre Fotos bereits gemacht haben und so weiter, bin ich kurz reingeschlüpft und habe mich selbst umgeschaut.«
    »Hast du sonst noch etwas angerührt?«
    »Nein«, sagte ich und schloss die Faust um das verschmierte Taschentuch.
    Bitte, lieber Gott und Sankt Genesius, Schutzpatron der Schauspieler und aller, die gefoltert wurden, macht, dass er nicht sagt, dass ich ihm das Taschentuch geben soll.
    Es klappte! Gelobt seien sie beide!
    Ich nahm mir vor, später in meinem Labor ein Brandopfer darzubringen – vielleicht eine kleine Pyramide aus Ammoniumdichromat, einen Sprühregen aus fröhlichen Funken …
    Der Inspektor ließ nicht locker. »Bist du sicher?«
    »Na ja …« Ich senkte die Stimme und schaute den Flur in beide Richtungen entlang, um mich zu vergewissern, dass wir nicht belauscht wurden, »ich habe nur ganz kurz in ihre Handtasche gelinst. Den Führerschein auf den Namen Phyllida Lampman haben Sie doch bestimmt auch gefunden?«
    Der Inspektor sah aus wie die Kuh, wenn’s donnert.
    »Das wäre dann alles«, sagte er barsch und ließ mich einfach stehen.

17
    I ch brauche deinen persönlichen Rat«, sagte ich zu Daffy. Diese Taktik führte immer zum Ziel.
    Wie gewöhnlich lag sie wie eine Garnele zusammengerollt in der Bibliothek, immer noch in ihren Dickens versunken.
    »Mal angenommen, du wolltest dich über jemanden erkundigen«, fragte ich. »Wo würdest du anfangen?«
    »Im Somerset House«, lautete die Antwort.
    Sehr witzig! Wie jeder andere Bürger des Königreichs wusste natürlich auch ich, dass im Somerset House in London sämtliche Geburts-, Todes- und Hochzeitsregister aufbewahrt wurden, dazu kamen Verträge, Testamente und andere amtliche Dokumente. Vater hatte uns das Gebäude einmal bedrückt von einem Taxi aus gezeigt.
    »Abgesehen davon, meine ich.«
    »Ich würde einen Detektiv anheuern«, sagte Daffy gereizt. »Jetzt verschwinde. Siehst du nicht, dass ich beschäftigt bin?«
    »Bitte, Daff! Es ist wichtig.«
    Sie ignorierte mich.
    »Du kriegst auch die Hälfte von dem Geld, das auf meinem Postsparkonto ist.«
    Das war selbstverständlich nicht

Weitere Kostenlose Bücher