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Vorhang

Vorhang

Titel: Vorhang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Agatha Christie
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wohltätige Zwecke.«
    »Ach, die Art von Freigebigkeit.« Judiths Stimme klang ein wenig zornig. Dann stellte sie eine seltsame Frage: »Waren die Leute hier – glücklich?«
    Nein, sie waren nicht glücklich gewesen. Das zumindest wusste ich.
    »Nein«, erwiderte ich.
    »Und warum nicht?«
    »Weil sie sich wie in einem Gefängnis vorkamen. Das ganze Geld gehörte nämlich Mrs Inglethorp – und sie war diejenige, die es austeilte. Ihre Stiefkinder konnten kein eigenes Leben führen.«
    Ich hörte, wie Judith heftig einatmete. Ihre Hand schloss sich fester um meinen Arm.
    »Das ist gemein, ganz gemein! Missbrauch von Macht! Das sollte verboten sein. Alte und kranke Leute sollten nicht die Macht haben, das Leben der Jungen und Starken zu behindern und sie zu unterdrücken, sodass ihre Kräfte und Energien verschwendet werden, die nutzbringend eingesetzt werden könnten – die gebraucht werden. Das ist purer Egoismus.«
    »Darauf«, versetzte ich trocken, »haben die Alten kein Monopol.«
    »Oh, ich weiß, Vater, du hältst die Jungen für selbstsüchtig. Vielleicht sind wir es auch, aber unsere Selbstsucht ist von sauberer Art. Wir wollen wenigstens nur das tun, was wir selbst wollen, wir wollen nicht, dass alle andern das tun, was wir wollen, wir wollen andere Menschen nicht versklaven.«
    »Nein, ihr trampelt sie nur nieder, wenn sie euch zufällig im Weg stehen.«
    Judith drückte meinen Arm. »Sei nicht so verbittert! Mir liegt es wirklich nicht, jemand niederzutrampeln – und du hast auch nie versucht, uns unser Leben vorzuschreiben. Wir sind dir dafür sehr dankbar.«
    »Ich fürchte«, erklärte ich freimütig, »dass ich es gern getan hätte. Aber eure Mutter hat darauf bestanden, dass ihr das Recht auf eure eigenen Fehler habt.«
    Wieder drückte Judith meinen Arm. »Ich weiß. Du hättest uns am liebsten wie eine Glucke umsorgt. Ich hasse das! Ich kann es einfach nicht ertragen! Aber du bist doch auch der Meinung, dass nützliches Leben manchmal unnützem Leben geopfert wird, nicht wahr?«
    »Das kommt vor«, gab ich zu. »Aber deshalb muss man nicht gleich zu drastischen Mitteln greifen… Weißt du, es steht jedem frei, fortzugehen.«
    »Wirklich? Stimmt das wirklich?«
    Ihr Tonfall war so heftig, dass ich sie erstaunt ansah. Es war zu dunkel, um ihr Gesicht deutlich erkennen zu können.
    »Es ist so schwierig«, fuhr sie mit leiser und besorgter Stimme fort, »es gibt so vieles, woran man denken muss: finanzielle Überlegungen, Verantwortungsgefühl, Rücksicht auf die Empfindungen derer, die man einmal gemocht hat – all diese Dinge, und manche Leute sind so skrupellos – sie nutzen diese Gefühle einfach aus. Manche Menschen – manche Menschen sind wie Blutegel !«
    »Meine liebe Judith«, rief ich aus, erschreckt durch die Wut in ihrer Stimme.
    Sie schien zu merken, dass sie sich zu sehr hineingesteigert hatte, denn sie lachte und zog ihren Arm aus meinem.
    »Hab ich mich sehr erregt? Bei diesem Thema kann ich nicht ruhig bleiben. Weißt du, mir ist ein Fall begegnet… Ein alter Tyrann. Und als eine kam, die mutig genug war, den Knoten zu zerschlagen und denen, die sie liebte, die Freiheit zu verschaffen, wurde sie für verrückt erklärt. Verrückt? Es war das normalste, was man tun konnte – und zugleich das mutigste!«
    Ein ungutes Gefühl stieg in mir hoch. Wo hatte ich vor Kurzem etwas Ähnliches gehört?
    »Judith«, sagte ich schroff. »Von welchem Fall sprichst du?«
    »Ach, niemand, den du kennst. Es sind Freunde der Franklins. Ein alter Mann namens Litchfield. Er war reich, aber seine Töchter hat er fast verhungern lassen – die Armen durften nie ausgehen oder sich mit jemand treffen. Er war wirklich verrückt, wenn auch nicht im medizinischen Sinn.«
    »Und die älteste Tochter hat ihn umgebracht«, bemerkte ich.
    »Ach, du hast davon gelesen? Wahrscheinlich würdest du es als Mord bezeichnen – aber es geschah nicht aus eigennützigen Motiven. Margaret Litchfield ging zur Polizei und stellte sich. Ich finde, sie war sehr tapfer. Ich hätte nicht den Mut gehabt.«
    »Den Mut, dich zu stellen, oder den Mut, einen Mord zu begehen?«
    »Beides.«
    »Ich bin froh, das zu hören«, sagte ich ernst, »und ich möchte nicht, dass du von Mord so sprichst, als ob er in gewissen Fällen gerechtfertigt sei.« Ich schwieg und fragte dann: »Was hat Dr. Franklin dazu gemeint?«
    »Er fand, dass ihm recht geschehen ist«, antwortete Judith. »Weißt du, Vater, es gibt Leute, die wollen

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