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Vorhang

Vorhang

Titel: Vorhang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Agatha Christie
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Haare auf den Zähnen. Beim Kartenspiel gab sie ihre Zurückhaltung auf und tadelte scharf jeden Fehler, den ihr unglücklicher Mann machte. Es war für Norton und mich ziemlich peinlich, und ich war erleichtert, als das Spiel zu Ende war.
    Unter Hinweis auf die späte Stunde lehnten wir eine weitere Partie ab.
    Als wir hinausgingen, machte Norton seinen Gefühlen ziemlich unvorsichtig Luft. »Das war äußerst unangenehm, Hastings. Es tut einem in der Seele weh, zu sehen, wie der alte Knabe herumkommandiert wird. Und wie demütig er es hinnimmt. Armer Kerl! Von dem schneidigen Tropen-Colonel hat er nicht mehr viel an sich.«
    »Pst«, machte ich, denn Norton hatte ziemlich laut gesprochen, und ich fürchtete, dass Colonel Luttrell ihn hören könnte.
    »Es ist wirklich eine Schande!«
    »Ich könnte verstehen, wenn er ihr einmal richtig Bescheid stoßen würde«, meinte ich mitfühlend.
    Norton schüttelte den Kopf. »Das wird er nie tun. Sein Wille ist gebrochen. Er wird weiterhin: ›Ja, meine Liebe, nein, meine Liebe, tut mir leid, meine Liebe‹ sagen, sich am Schnurrbart zupfen und kümmerlich dahinvegetieren, bis man ihn einsargt. Er kann sich nicht behaupten, selbst wenn er es versuchte.«
    Ich schüttelte traurig den Kopf, denn Norton hatte wahrscheinlich recht.
    Wir blieben in der Halle stehen, und ich bemerkte, dass die Seitentür zum Garten offen stand und der Wind hereinblies.
    »Sollten wir die Tür nicht schließen?«, fragte ich.
    Norton zögerte einen Augenblick und sagte dann: »Nun – äh – ich glaube, es sind noch nicht alle im Haus.«
    Mich befiel ein plötzlicher Argwohn. »Wer ist noch draußen?«
    »Ihre Tochter, glaube ich, und – äh – Allerton.«
    Er bemühte sich, seiner Stimme einen besonders beiläufigen Tonfall zu geben, aber nach der Unterhaltung mit Poirot verursachten mir seine Worte Unbehagen.
    Judith – und Allerton. Meine kluge, vernünftige Judith würde doch nicht auf einen Mann dieses Typs hereinfallen? Sie würde ihn doch gewiss durchschauen?
    Das sagte ich mir immer wieder, während ich mich auskleidete, aber das unbehagliche Gefühl wollte nicht weichen. Ich konnte nicht einschlafen und wälzte mich von einer Seite auf die andere.
    Wie es bei nächtlichen Sorgen zu sein pflegt, wurde alles ins Maßlose verzerrt. Eine Woge von Verzweiflung und Verlassenheit überschwemmte mich. Wenn nur meine Frau noch am Leben gewesen wäre, auf deren Urteil ich mich so viele Jahre lang hatte verlassen können. Sie hatte immer gewusst, was mit den Kindern los war.
    Ohne sie fühlte ich mich schrecklich unzulänglich. Jetzt lastete die Verantwortung für die Sicherheit und das Glück der Kinder allein auf mir. Würde ich dieser Aufgabe gewachsen sein? Ich war, weiß Gott, nicht der Klügste. Ich irrte mich und machte Fehler. Wenn Judith sich ins Unglück stürzen und leiden würde…
    Verzweifelt knipste ich das Licht an und richtete mich auf.
    So konnte es nicht weitergehen. Ich hatte den Schlaf dringend nötig. Ich stand auf, ging zum Waschbecken und betrachtete unschlüssig ein Fläschchen mit Aspirintabletten.
    Nein, ich brauchte ein stärkeres Mittel als Aspirin. Mir fiel ein, dass Poirot irgendwelche Schlaftabletten haben müsste. Ich überquerte den Gang und blieb minutenlang vor seiner Tür stehen. Es war mir peinlich, den alten Freund aufzuwecken.
    Während ich noch zögerte, hörte ich Schritte und drehte mich um. Allerton kam den Korridor entlang auf mich zu.
    Die Beleuchtung war trüb, und ich erkannte ihn erst, als er ganz nahe war. Der Ausdruck seines Gesichts erschreckte mich. Er lächelte vor sich hin, und dieses Lächeln gefiel mir ganz und gar nicht.
    Er blickte auf und zog die Augenbrauen hoch. »Hallo, Hastings, noch nicht im Bett?«
    »Ich konnte nicht einschlafen«, erwiderte ich kurz.
    »Wenn das alles ist, kann ich Ihnen helfen. Kommen Sie mit!«
    Ich folgte ihm in sein Zimmer, das neben meinem lag. Eine seltsame Regung zwang mich, diesen Mann genauestens zu mustern.
    »Sie sind auch noch spät auf den Beinen«, bemerkte ich.
    »Ich bin ein Nachtmensch, vor allem dann, wenn’s noch was zu erleben gibt. Solche schönen Abende sollte man nicht verschlafen.«
    Er lachte auf eine Art, die mir missfiel.
    Ich folgte ihm ins Badezimmer, wo er ein Medizinschränkchen öffnete und ihm ein Fläschchen mit Tabletten entnahm.
    »Bitte, bedienen Sie sich! Ein wahres Wundermittel. Sie werden schlafen wie ein Murmeltier – und die schönsten Träume haben. Es heißt

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