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Vorhang

Vorhang

Titel: Vorhang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Agatha Christie
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nicht leugnen, dass er ein kluger Kerl ist – viel klüger als ich.«
    »Dazu«, meinte Poirot sarkastisch, »gehört nicht viel. Aber schlagen Sie sich den Gedanken aus dem Kopf, Hastings! Wir werden niemand ins Vertrauen ziehen. Ist das klar – nein? Verstehen Sie, ich verbiete Ihnen, über diese Angelegenheit zu sprechen!«
    »Wie Sie meinen. Aber Boyd Carrington ist wirklich – «
    »Ah, ta ta! Boyd Carrington! Was haben Sie nur immer mit Ihrem Boyd Carrington? Wer ist er schon? Ein Mann, der großspurig und selbstgefällig auftritt, nur weil die Leute ihn ›Exzellenz‹ tituliert haben. Ja, er besitzt ein gewisses Maß an Taktgefühl und einige Umgangsformen. Aber er ist nicht so überragend, wie Sie glauben. Er wiederholt sich. Er erzählt die gleiche Geschichte zweimal – und was noch schlimmer ist, er hat ein so schlechtes Gedächtnis, dass er einem die Geschichte wieder erzählt, die er von einem selbst gehört hat! Ein Mann mit außergewöhnlichen Fähigkeiten? Ganz und gar nicht. Ein alter Langweiler und Windbeutel, sonst nichts!«
    »Aha!«, sagte ich in plötzlicher Erkenntnis.
    Es stimmte, dass Boyd Carringtons Gedächtnis nicht das beste war. Er hatte tatsächlich einen Fauxpas begangen, der, wie ich jetzt erkannte, Poirot ziemlich verärgert hatte. Poirot hatte ihm eine Geschichte aus seiner Zeit bei der belgischen Polizei erzählt, und wenige Tage später, als wir alle im Garten versammelt waren, hatte Boyd Carrington Poirot in aller Unschuld die gleiche Geschichte serviert und mit den Worten eingeleitet: »Mir fällt da eine Anekdote ein, die mir der Chef der Sûreté in Paris erzählte…«
    Ich begriff jetzt, wie übel Poirot das aufgenommen hatte.
    Ich schwieg taktvoll und zog mich zurück.
     
    Ich ging hinunter in den Garten. Da ich niemand antraf, spazierte ich durch ein kleines Wäldchen und gelangte zu einem grasbewachsenen Hügel, auf dem ein halb verfallenes Sommerhäuschen stand. Hier ließ ich mich nieder, zündete meine Pfeife an und machte mich daran, die Probleme zu überdenken.
    Wer auf Styles hatte ein einigermaßen begründetes Motiv für einen Mord – oder wem könnte ein solches unterstellt werden?
    Abgesehen von Colonel Luttrell, der wohl kaum imstande war, seine Frau mitten beim Bridge zu erschlagen – wenn diese Handlungsweise auch verständlich gewesen wäre –, fiel mir zunächst niemand ein.
    Die Schwierigkeit war, dass ich nicht genug über die Leute wusste. Zum Beispiel über Norton und Miss Cole. Welches waren gewöhnlich die Motive für Mord? Geld? Boyd Carrington war, soweit ich wusste, der einzige reiche Mann hier. Wer würde sein Geld erben? Jemand von den Gästen? Ich nahm es kaum an, aber das war ein Punkt, dem man nachgehen musste. Er konnte sein Geld beispielsweise der Forschung vermacht und Franklin als Treuhänder bestimmt haben. Das zusammen mit Franklins ziemlich unvorsichtigen Äußerungen über die Austilgung von achtzig Prozent der Menschheit könnte den Arzt erheblich belasten. Oder vielleicht waren Norton oder Miss Cole entfernte Verwandte von Boyd Carrington und damit automatisch erbberechtigt. Diese Möglichkeit war vielleicht ziemlich weit hergeholt, aber nicht ausgeschlossen. War Colonel Luttrell, ein alter Freund des Baronets, in dessen Testament bedacht worden? Mit diesen Überlegungen schien der Geldaspekt ausgeschöpft zu sein, und ich wandte mich romantischeren Möglichkeiten zu. Da waren zum Beispiel die Franklins. Mrs Franklin war leidend. Konnte es sein, dass sie langsam vergiftet wurde – und würde man ihren Mann der Tat verdächtigen, wenn sie starb? Er war Arzt und hatte zweifellos Mittel und Gelegenheit dazu. Wie stand es mit dem Motiv? Ein unbehagliches Gefühl überkam mich, als mir einfiel, dass Judith in die Sache verwickelt sein könnte. Ich wusste zwar, dass ihre Beziehung zu Franklin rein sachlich war – aber würde die Öffentlichkeit das auch glauben? Würde ein zynischer Polizeibeamter es glauben? Judith war eine ausgesprochen hübsche junge Frau. Und bei wie vielen Verbrechen war eine attraktive Sekretärin oder Assistentin das Motiv gewesen! Der Gedanke an diese Möglichkeit versetzte mich in Schrecken.
    Als Nächstes zog ich Allerton in Betracht. Konnte es irgendeinen Grund geben, Allerton aus dem Weg zu räumen? Wenn es tatsächlich zu einem Mord kam, hätte ich am liebsten Allerton als Opfer gesehen! An Motiven, ihn umzubringen, durfte es eigentlich nicht mangeln. Vielleicht Miss Cole, die zwar nicht mehr ganz

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