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Vorhang

Vorhang

Titel: Vorhang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Agatha Christie
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sein. Ich fragte neugierig: »Sie sind mit Dr. Franklin wohl sehr gut bekannt?«
    Sie schüttelte den Kopf. »O nein. Ich habe die Franklins nur ein- oder zweimal gesehen, bevor wir uns hier wiedertrafen.«
    »Aber er hat Ihnen von sich erzählt, nehme ich an?«
    Wieder schüttelte sie den Kopf. »Nein. Was ich Ihnen eben erzählt habe, weiß ich von Ihrer Tochter Judith.«
    Judith, dachte ich mit einer gewissen Bitterkeit, sprach offenbar mit allen, außer mit mir.
    »Judith hängt sehr an ihrem Chef«, fuhr Miss Cole fort, »und sie steht ganz auf seiner Seite. Sie verurteilt Mrs Franklins Egoismus aufs Schärfste.«
    »Und Sie – halten Sie sie auch für egoistisch?«
    »Ja, aber ich kann sie verstehen. Ich – ich – kann mich in Kranke hineinversetzen. Ich verstehe auch Dr. Franklins Rücksichtnahme. Judith ist der Ansicht, dass er seine Frau irgendwo unterbringen sollte, um sich dann ganz der Forschung zu widmen. Ihre Tochter ist eine begeisterte Wissenschaftlerin.«
    »Ich weiß«, entgegnete ich bekümmert. »Das macht mir zuweilen Sorgen. Es kommt mir etwas unnatürlich vor, wissen Sie? Ich habe das Gefühl, sie sollte etwas – menschlicher sein, sich mehr Vergnügen gönnen, sich in den einen oder andern netten jungen Mann verlieben. Die Jugend ist schließlich die Zeit, in der man sich austoben kann – statt den ganzen Tag über Reagenzgläsern zu hocken. Das ist nicht natürlich! Damals, zu unserer Zeit, haben wir uns vergnügt – geflirtet – gelacht – Sie wissen schon!«
    Miss Cole schwieg einen Augenblick. Dann sagte sie in seltsam kühlem Ton: »Ich weiß es nicht.«
    Ich war sehr betroffen. Ohne mir dessen bewusst zu sein, hatte ich sie und mich als Altersgenossen bezeichnet – und jetzt wurde mir plötzlich klar, dass sie beträchtlich jünger sein musste als ich und meine Bemerkung äußerst taktlos gewesen war.
    Ich entschuldigte mich, so gut ich konnte.
    »Nein, nein, das habe ich nicht gemeint«, fiel sie mir ins Wort. »Sie brauchen sich nicht zu entschuldigen! Ich war in diesem Sinn nie jung. Das, was man ›eine schöne Zeit‹ nennt, habe ich nicht gekannt.«
    Aus ihrer Stimme klangen Bitterkeit und Groll, und ich sagte etwas hilflos: »Das tut mir leid.«
    Sie lächelte. »Ach, das ist jetzt egal. Machen Sie nicht so ein bestürztes Gesicht. Wir wollen lieber von etwas anderm reden.«
    Ich gehorchte. »Erzählen Sie mir etwas über die Leute hier, falls es nicht alles Fremde für Sie sind«, bat ich sie.
    »Ich kenne die Luttrells von Kindheit an. Es ist ziemlich traurig, dass sie so etwas machen müssen – vor allem für ihn. Er ist ein lieber Kerl. Und sie ist netter, als man annehmen würde. Sie musste ihr Leben lang sparen und haushalten, und das hat sie etwas – nun – etwas habgierig gemacht. Wenn man ständig aufs Geld achten muss, wirkt sich das am Ende auf den Charakter aus. Das Einzige, was mir an ihr tatsächlich etwas missfällt, ist ihre überschwängliche Art.«
    »Und Mr Norton?«
    »Da gibt es eigentlich nicht viel zu sagen. Er ist sehr nett – ziemlich schüchtern – ein bisschen langweilig vielleicht. Er war immer ziemlich schwächlich. Er lebte mit seiner Mutter zusammen – einer dummen, mürrischen Person. Ich glaube, sie hat ihn sehr bevormundet. Sie ist vor ein paar Jahren gestorben. Er interessiert sich für Vögel und Blumen und solche Sachen. Er ist ein sehr netter Mensch – und er sieht eine ganze Menge.«
    »Durch sein Fernglas, meinen Sie?«
    Miss Cole lächelte. »Ganz so wörtlich hatte ich es eigentlich nicht gemeint. Ich wollte sagen, dass er eine Menge bemerkt. Das ist oft so bei diesen stillen Menschen. Er ist selbstlos – und für einen Mann sehr rücksichtsvoll, aber auch ziemlich – untüchtig, wenn Sie verstehen, was ich meine.«
    Ich nickte. »O ja, ich verstehe.«
    »Das ist das Deprimierende an Orten wie diesem hier«, sagte Elizabeth Cole unvermittelt in dem gleichen bitteren Ton wie vorhin. »Gästehäuser, die von verarmten netten Leuten geführt werden. Sie sind voll von Versagern, von Leuten, die es zu nichts gebracht haben und es auch nie mehr zu etwas bringen werden, von Leuten, die – die am Leben zerbrochen sind, die alt und müde und am Ende sind.«
    Ich spürte, wie sich in mir eine tiefe Traurigkeit ausbreitete. Wie recht sie mit ihren Worten hatte! Das waren wir – eine Versammlung schattenhafter Gestalten: graues Haar, graue Herzen, graue Träume. Ich selbst traurig und einsam, die Frau neben mir verbittert und

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