Vorhang
auf die Lippen, aber ich sprach sie nicht aus. Der Tag war noch nicht gekommen, an dem ich zu ihr sagen konnte: »Sie haben recht. Maggie war es nicht…«
9
E s muss gegen sechs Uhr gewesen sein, als Colonel Luttrell den Weg entlangkam. Er hatte ein Gewehr bei sich und trug ein paar rote Ringeltauben.
Er zuckte überrascht zusammen, als ich ihn anrief.
»Hallo, was machen Sie beide denn hier? Sie haben sich ein gefährliches Plätzchen ausgesucht. Das Haus ist sehr baufällig und kann über Ihren Köpfen einstürzen. Ich fürchte, Sie machen sich schmutzig, Elizabeth.«
»Oh, keine Sorge! Captain Hastings hat sein Taschentuch geopfert, damit mein Kleid sauber bleibt.«
»So?«, murmelte der Colonel abwesend. »Das ist gut.«
Er stand da und zupfte an seinem Bärtchen, und wir standen auf und schlossen uns ihm an.
Er schien mit seinen Gedanken weit fort zu sein. Immerhin raffte er sich zu der Bemerkung auf: »Ich habe versucht, ein paar von diesen verdammten Ringeltauben zu schießen. Sie richten viel Schaden an, wissen Sie!«
»Ich habe gehört, dass Sie ein guter Schütze sind«, meinte ich.
»So? Wer hat Ihnen denn das erzählt? Ach so, Boyd Carrington! Das war einmal – das war einmal! Ich bin etwas eingerostet. Das Alter macht sich bemerkbar.«
»Die Augen wahrscheinlich«, vermutete ich.
»Nein, nein«, protestierte er sofort. »Meine Augen sind so gut wie eh und je. Das heißt – zum Lesen brauche ich natürlich eine Brille. Aber in die Ferne sehe ich noch tadellos.« Nach einiger Zeit wiederholte er: »Ja, tadellos. Aber das ist nicht so wichtig…«
Seine Stimme verlor sich in unverständlichem Gemurmel.
Miss Cole blickte um sich. »Was für ein wunderschöner Abend«, sagte sie.
Sie hatte recht. Die Sonne stand im Westen und brachte mit ihren rotgoldenen Strahlen die satten Grüntöne der Bäume zum Erglühen. Es war einer der stillen, friedlichen und sehr englischen Abende, an die man sich besonders in fernen tropischen Ländern häufig erinnert. Ich machte eine entsprechende Bemerkung.
»Ja, ja«, stimmte Colonel Luttrell eifrig zu. »Ich habe oft an solche Abende gedacht – draußen in Indien. Man sehnt sich dann nach der Zeit, wo man ausgedient hat und sich zur Ruhe setzen kann.«
Ich nickte. Er fuhr in verändertem Ton fort: »Ja, sich zur Ruhe setzen, in die Heimat zurückkehren – nichts ist so, wie man es sich vorstellt – nein – nein!«
Ich dachte, dass es in seinem Fall wohl in besonderem Maße zutraf. Er hatte sich gewiss nicht vorgestellt, dass er ein schlecht gehendes Gästehaus führen würde, mit einer zänkischen Frau an seiner Seite, die ihm ständig über den Mund fuhr und sich beklagte.
Langsam gingen wir auf das Haus zu. Norton und Boyd Carrington saßen auf der Terrasse, und wir setzten uns zu ihnen, während Miss Cole im Haus verschwand.
Wir unterhielten uns ein paar Minuten. Colonel Luttrell schien munterer geworden zu sein. Er machte einige scherzhafte Bemerkungen und wirkte viel aufgeräumter als sonst.
»Das war ein heißer Tag«, sagte Norton. »Ich bin durstig.«
»Wie wär’s mit einem Drink – auf Kosten des Hauses?«, fragte der Colonel und strahlte vor Eifer.
Wir nahmen dankend an. Er stand auf und lief hinein.
Der Teil der Terrasse, auf dem wir saßen, lag direkt vor dem offen stehenden Esszimmerfenster.
Wir hörten, wie der Colonel drinnen eine Schranktür öffnete. Dann drang das Quietschen eines Korkenziehers zu uns heraus und das leise »Plop«, mit dem der Korken aus der Flasche gezogen wurde.
Gleich darauf vernahmen wir Mrs Luttrells hohe, schrille Stimme. »Was machst du da, George?«
Des Colonels Antwort klang gedämpft. Wir verstanden nur ab und zu ein gemurmeltes Wort wie »die Burschen draußen… einen Drink…«
Dann brach die unangenehme, schrille Stimme gereizt los: »Das wirst du nicht tun, George! Was fällt dir ein! Wie soll sich dieses Haus je rentieren, wenn du herumgehst und alle freihältst? Wer einen Drink will, muss dafür bezahlen. Ich besitze jedenfalls Geschäftssinn, auch wenn er dir abgeht. Ohne mich wärst du längst bankrott. Ich muss auf dich aufpassen wie auf ein kleines Kind. Ja, genau wie auf ein kleines Kind! Dir fehlt jeder Funken Verstand. Gib die Flasche her! Gib sie her, sage ich!«
Wieder war ein verzweifelt protestierendes Murmeln zu hören.
Mrs Luttrell antwortete bissig: »Das ist mir gleich, was sie denken! Die Flasche kommt wieder in den Schrank! Außerdem werde ich abschließen.«
Man
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