Vorhang
Hastings, es würde mich nicht überraschen, wenn er sie tatsächlich ermordet hätte.«
»Das ist nicht Ihr Ernst«, erwiderte ich scharf.
»Nein, nicht so ganz. Aber eigentlich nur deshalb, weil er vermutlich eine andere Methode gewählt hätte. Ich meine, es war allgemein bekannt, dass er mit diesem Physostigmin arbeitete, deshalb sollte man annehmen, dass er sie nicht ausgerechnet mit diesem Mittel vergiftet hätte. Trotzdem, Hastings, ich bin nicht der Einzige, der Franklin verdächtigt. Ich habe den Tipp von jemand, der es wissen muss.«
»Von wem?«
Boyd Carrington senkte die Stimme. »Von Schwester Craven!«
»Was?« Ich war äußerst überrascht.
»Schreien Sie nicht so! Ja, es war Schwester Craven, die mich auf diesen Gedanken gebracht hat. Sie ist ein kluges Mädchen, wissen Sie, sie hat ihre fünf Sinne beisammen. Sie mag Franklin nicht – hat ihn nie leiden können.«
Ich war verblüfft. Ich hatte eher angenommen, dass Schwester Craven ihre Patientin nicht gemocht hatte. Mir ging plötzlich auf, dass sie eine ganze Menge über die Franklins wissen musste.
»Sie übernachtet heute hier«, bemerkte Boyd Carrington.
»Tatsächlich?«, rief ich erstaunt. Schwester Craven hatte das Haus gleich nach der Beerdigung verlassen.
»Sie ist unterwegs zu einem neuen Patienten«, erklärte Boyd Carrington.
»Ach so!«
Schwester Cravens Rückkehr beunruhigte mich irgendwie, aber ich hätte nicht sagen können, weshalb. Gab es, so fragte ich mich, einen bestimmten Grund für ihr Erscheinen? Sie mochte Franklin nicht, hatte Boyd Carrington gesagt…
Ich riss mich zusammen und erklärte mit Nachdruck: »Sie hat nicht das Recht, Andeutungen über Franklin fallen zu lassen. Schließlich war es ihre Aussage, die dazu beigetragen hat, dass der Spruch auf Selbstmord lautete. Schwester Cravens Aussage und Poirots Beobachtung, dass Mrs Franklin mit einem Fläschchen in der Hand aus dem Labor gekommen sei.«
»Was bedeutet schon ein Fläschchen?«, schnaubte Boyd Carrington. »Frauen tragen dauernd Fläschchen mit sich herum – mit Parfüm, Haarwasser oder Nagellack. Ihre Tochter ist an jenem Abend auch mit einem Fläschchen in der Hand herumgelaufen – und wollte sie sich etwa umbringen? Unsinn!«
Er brach ab, als Allerton auf uns zutrat. Passenderweise erklang in der Ferne leises melodramatisches Donnergrollen. Wie schon früher kam mir der Gedanke, dass Allerton für die Rolle des Bösewichts wie geschaffen war.
Aber in der Nacht, als Barbara Franklin starb, war er verreist gewesen. Und außerdem, welches Motiv hätte er gehabt?
Dann fiel mir ein, dass X nie ein Motiv hatte, was ja gerade seine Stärke ausmachte. Das, und nur das allein, war der Grund, warum wir nicht weiterkamen. Aber der Funke der Erkenntnis konnte jeden Augenblick zünden.
Ich glaube, an diesem Punkt sollte ich festhalten, dass ich während der ganzen Zeit keinen Moment daran gedacht hatte, dass Poirot versagen könnte. Ich hatte niemals die Möglichkeit in Betracht gezogen, dass X aus dem Zweikampf als Sieger hervorgehen könnte. Trotz Poirots angegriffener Gesundheit und Hinfälligkeit war ich überzeugt, dass er der Stärkere sein würde. Kurz gesagt, ich hatte mich an Poirots Erfolg gewöhnt.
Poirot selbst war es, der mir die ersten Zweifel eingab.
Bevor ich zum Abendessen hinunterging, sah ich kurz bei ihm hinein. Ich weiß nicht mehr genau, wie es kam, jedenfalls gebrauchte er plötzlich die Wendung »falls mir etwas zustoßen sollte«.
Ich erhob sofort energisch Einspruch. Nichts würde ihm zustoßen – ihm könne nichts zustoßen!
»Eh bien, dann haben Sie nicht darauf geachtet, was Dr. Franklin Ihnen erzählt hat.«
»Franklin ist kein Prophet. Sie können noch einige Jahre leben, Poirot.«
»Das ist möglich, mein Freund, aber äußerst unwahrscheinlich. Ich habe es auch nicht so allgemein gemeint, sondern einen ganz speziellen Fall: Selbst wenn ich bald sterbe, könnte das für unseren Freund X nicht früh genug sein.«
»Was?«, rief ich entsetzt.
Poirot nickte. »Aber sicher, Hastings! X ist schließlich intelligent. Sogar sehr intelligent. Und X wird unweigerlich erkennen, dass es für ihn von unschätzbarem Wert sein könnte, mich zu beseitigen, und wenn er meinem natürlichen Tod auch nur um einige Tage vorgreift.«
»Aber dann – aber was passiert dann?«, fragte ich fassungslos.
»Wenn der Anführer fällt, mon ami, übernimmt der Rangnächste das Kommando. Sie werden allein weitermachen.«
»Wie
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