Vorhofflimmern
entspannte Situation brachte mich sogar dazu mich mit
meinem Bürostuhl umzudrehen.
„Woher genau kommst du eigentlich?“, fragte ich.
Er freute sich sichtlich über meine Frage. „Meine Wurzeln
liegen in Verona. Allerdings muss ich da ein wenig weiter ausholen, wenn es
dich interessiert.“
Ich schaffte es sogar zu lächeln, was mich selbst
verwunderte.
„Erzähl“, forderte ich ihn auf.
Mit leuchtenden Augen kam er meiner Aufforderung nach: „Also,
mein Vater wurde in Verona geboren und hat dort auch gelebt. Meine Mutter ist
eine gebürtige Wollbacherin und hat ihn bei einem Italienurlaub kennen gelernt.
Beide sagen, dass es sofort die große Liebe war. Sie haben schließlich
geheiratet und meiner Mutter zuliebe ist mein Vater nach Deutschland gezogen.
Aufgewachsen bin ich quasi in hier. Nur in den Ferien waren wir immer in
Italien. Naja, und als ich schließlich mit dem Studium anfing, haben meine
Eltern beschlossen ihre wohlverdiente Rente in Verona zu genießen und sind
ausgewandert.“
„Hast du keine Geschwister?“
„Nein.“ Er hob entschuldigend die Hände. „Ich bin ein
verwöhntes Einzelkind.“
„Genau das wollte ich auch gerade sagen.“
Wir grinsten uns kurz an.
„Was ist mit dir?“, fragte er schließlich. „Hast du
Geschwister?“
„Zwei Halbschwestern, aber wir sind weit aus einander. In
mehrfacher Hinsicht“, sagte ich und druckste ein wenig herum. „Meine
Familiengeschichte ist ein wenig kompliziert.“
„Ich habe Zeit“, meinte Desiderio aufmunternd.
„Na schön.“ Ich lehnte mich zurück und suchte kurz nach einem
geeigneten Anfang. „Also – meine Eltern stammen ursprünglich aus München und
sind damals wegen der Arbeitsstelle meines Vaters hierher gezogen. Ich wurde
hier geboren. Als ich zwölf war, ließen sich meine Eltern scheiden. Mein Vater
bekam so eine Art Midlifecrisis und verschwand mit einer deutlich jüngeren Frau
nach Frankreich. Erst Jahre später nahm er wieder Kontakt zu mir auf und ich
erfuhr, dass ich mittlerweile zwei jüngere Schwestern hatte. Wir haben uns bis
jetzt nur ein einziges Mal getroffen, darum existiert so etwas wie eine
Beziehung zwischen uns nicht. Mit meinem Vater telefoniere ich genau zweimal im
Jahr. An meinem Geburtstag und an seinem. Nein, mach nicht so ein Gesicht. Es
ist in Ordnung. Ich hatte nie das Gefühl, dass ich es mit einem richtigen Vater
besser gehabt hätte. Naja, zumindest ich. Meine Mutter war damals am Boden
zerstört und einige Jahre lang ziemlich verzweifelt mit ihrem Leben als
Alleinerziehende. Wahrscheinlich hatte sie es mit mir auch nicht immer einfach,
aber egal. Mit einer neuen Liebe wollte es partout nicht klappen und ihr Job
als Verkäuferin war für sie mehr als frustrierend.“
Ich hielt kurz inne und schwelgte in meinen eigenen
Erinnerungen. Desiderio wartete geduldig darauf, dass ich weitersprach.
Irgendwann räusperte ich mich und lächelte schief.
„Nun, mittlerweile ist wieder Friede-Freude-Eierkuchen bei
uns eingekehrt. Meine Mutter lebt inzwischen in Hamburg, arbeitet dort in ihrem
Traumberuf als Lektorin bei einem renommierten Verlag und hat einen wirklich
lieben Lebensgefährten gefunden. Obwohl wir uns nicht oft sehen ist unsere
Beziehung entspannter als je zuvor.“
Desiderio hatte meiner Geschichte überaus aufmerksam
zugehört.
„Seit wann ist deine Mutter schon in Hamburg?“, wollte er
wissen.
„Ach, ich weiß nicht so genau. Schon ein paar Jahre“,
antwortete ich fadenscheinig und kratzte mich am Kinn.
Sein Blick wurde durchdringend und langsam unangenehm. Er
merkte sehr wohl, dass ich etwas Entscheidendes bei meiner Lebensgeschichte
ausließ, doch er schien sich nicht sicher zu sein, ob er nachhaken oder mein
Schweigen taktvoll akzeptieren sollte.
Erstaunlicherweise entschied er sich schließlich für
Taktgefühl.
„Also, nach Hamburg hätte ich auch nicht gehen wollen“,
meinte er mitfühlend, um die merkliche Anspannung zwischen uns ein wenig
aufzulockern.
Dankbar ging ich darauf ein. „Tja, nach Verona hätte ich
allerdings schon ziehen wollen.“
Er winkte ab. „Medizinstudium in Italien? Oh nein, wenn ich
einen Platz bekommen hätte, wäre ich in die Schweiz gegangen, aber Italien? Da
war München schon die bessere Alternative. Einmal Bayer, immer Bayer.“
Ich lachte laut. „Welch ein Nationalstolz!“
Während wir vor uns hin kicherten fiel mir auf, dass ich mich
erstaunlich wohl in seiner Gegenwart fühlte. Momentan hatte ich den Eindruck,
als könnte
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