Vorkosigan 02 03 Cordelia's Ehre
fuhr herum. »Oh. Der zweite Wagen … ist
dann nicht nur wegen der Größe der Gruppe dabei?«
Arals Mund verzog sich leicht: »Nein. Es scheint mir…
klüger, dass wir von jetzt an in getrennten Fahrzeugen fahren.«
»Ja«, sagte sie schwach, »wirklich klüger.«
Er nickte und wandte sich dann ab. Zum Teufel mit diesem Land! Wieder wurde ein Stück aus ihrem Leben, aus ihrem Herzen gerissen. Sie hatten nur noch so wenig Zeit miteinander, dass selbst ein kleiner Verlust schmerzte.
Graf Piotr sollte offensichtlich Aral vertreten, zumindest heute Abend; er rutschte auf den Sitz neben ihr. Droushnakovi setzte sich ihnen gegenüber, und das Verdeck wurde geschlossen. Der Wagen bog ruhig in die Straße ein. Cordelia blickte über ihre Schulter und versuchte nach Arals Wagen zu 432
schauen, aber er folgte zu weit hinten, als dass sie ihn hätte sehen können. Sie richtete sich auf und seufzte.
Die Sonne sank gelblich in eine graue Wolkenbank, Lichter
erglühten in dem kühlen, dunstigen Herbstabend und gaben der Stadt eine düstere, melancholische Atmosphäre. Vielleicht war ein lärmendes Straßenfest – sie fuhren an einigen vorbei – keine so schlechte Idee. Die Feiernden erinnerten Cordelia an primitive Menschen von der Erde, die auf Töpfen trommelten und Schüsse abfeuerten, um den Drachen zu verjagen, der den sich verfinsternden Mond verschlingen wollte. Diese seltsame, herbstliche Traurigkeit konnte eine unvorsichtige Seele verzehren. Gregors Geburtstag kam zur rechten Zeit.
Piotrs knorrige Hände fingerten an einem braunen
Seidensäckchen herum, auf das in Silber das Wappen der
Vorkosigans gestickt war. Cordelia betrachtete es interessiert.
»Was ist das?«
Piotr lächelte leicht und gab es ihr. »Goldmünzen.«
Noch mehr Volkskunst; das Säckchen und sein Inhalt waren
ein Vergnügen für den Tastsinn. Sie streichelte über die Seide, bewunderte die Stickerei und schüttelte ein paar der glänzenden Scheibchen heraus, auf ihre Hand. »Hübsch.«
Cordelia erinnerte sich gelesen zu haben, dass vor dem Ende der Zeit der Isolation Gold auf Barrayar einen großen Wert besessen hatte. Gold war für ihr betanisches Denken etwa Metall, das manchmal für die elektronische Industrie nützlich ist, aber alte Völker hatten damit etwas Mystisches verbunden.
»Bedeutet das irgendetwas?«
»Aber ja! Das ist das Geburtstagsgeschenk für den Kaiser.«
Cordelia stellte sich den fünfjährigen Gregor vor, wie er mit einem Säckchen voll Gold spielte. Was konnte der Junge denn damit anfangen, außer Türmchen zu bauen und vielleicht das Zählen zu üben? »Ich bin sicher, er wird sich freuen«, sagte sie mit leisem Zweifel.
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Piotr kicherte. »Du weißt, was damit los ist, nicht wahr?«
Cordelia seufzte: »Das weiß ich fast nie. Bitte sag's mir.« Sie lehnte sich zurück und lächelte. Piotr hatte sich nach und nach dafür begeistert, ihr Barrayar zu erklären; er schien sich immer zu freuen, wenn er einen neuen weißen Fleck der Unwissenheit bei ihr entdeckte, den er mit Informationen und Meinungen füllen konnte. Sie hatte das Gefühl, er könnte ihr die ganzen nächsten zwanzig Jahre lang Vorträge halten, ohne Mangel an verblüffenden Themen zu haben.
»Des Kaisers Geburtstag ist das traditionelle Ende des
Rechnungsjahres, für den Distrikt eines jeden Grafen in
Beziehung zur kaiserlichen Regierung. Mit anderen Worten, es ist der Tag, an dem die Steuern fällig werden, außer – dass die Vor nicht besteuert werden. Das würde eine zu untergeordnete Beziehung zum Imperium bedeuten. Stattdessen geben wir dem Kaiser ein Geschenk.«
»Aha …«, sagte Cordelia. »Sie verwalten doch diese Gegend
nicht für ein Jahr um sechzig kleiner Säcke voll Gold willen, Sir.«
»Natürlich nicht. Die wirklichen Summen sind heute schon
vorher von Hassadar nach Vorbarr Sultana über KomLink
transferiert worden. Das Gold ist nur symbolisch.«
Cordelia runzelte die Stirn: »Einen Augenblick. Habt ihr das nicht schon einmal in diesem Jahr getan?«
»Im Frühling für Ezar, ja. So haben wir nur das Datum für
unser Rechnungsjahr geändert.«
»Bringt das nicht euer Banksystem durcheinander?«
Er zuckte die Achseln: »Wir kommen zurecht.« Plötzlich
grinste er: »Was glaubst du, woher überhaupt das Wort ›Graf‹
kommt?«
»Von der Erde, dachte ich. Ein Wort aus der Voratomzeit –
tatsächlich spätrömisch – für einen Adeligen, der eine
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Grafschaft leitete. Oder vielleicht war der Distrikt
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