Vorkosigan 02 03 Cordelia's Ehre
gehabt«, stieß er hervor, offensichtlich einen in Gang befindlichen Streit fortsetzend, »wenn du nicht angerannt gekommen wärst und mir zugerufen hättest…«
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»Ach, wirklich!«, gab Droushnakovi zurück. »Nun gut,
entschuldige, aber ich seh' das nicht so. Mir scheint, er hatte dich gepackt und flach auf den Boden gelegt. Wenn ich nicht gesehen hätte, wie seine Beine die Mauer hinaufkletterten …«
»Haltet die Klappe! Da kommt Graf Vorkosigan!«, zischte
ein anderer Wächter. Die Männer drehten sich um und traten vor ihm zurück.
»Wie ist er hereingekommen?«, begann Vorkosigan und
hielt dann inne. Der Mann trug die schwarze Arbeitsuniform des Militärs. »Sicherlich keiner von Ihren Leuten, Illyan!«
Seine Stimme knirschte wie Metall auf Stein.
»Mylord, wir mussten ihn lebend bekommen, damit wir ihn
verhören können«, sagte Illyan unsicher neben Vorkosigans
Schulter, halb hypnotisiert durch denselben Blick, vor dem die Wachen zurückgewichen waren. »Vielleicht steckt mehr in dieser Verschwörung. Man kann nicht…«
Der Gefangene drehte sich um und wandte seinen Fängern
das Gesicht zu. Einer der Wächter sprang vor, um ihn wieder in die Stellung an die Wand zu schieben, aber Vorkosigan winkte ihm, beiseite zu treten. Da Cordelia in diesem Augenblick hinter ihrem Mann stand, konnte sie Vorkosigans Gesicht nicht sehen, aber seine Schultern verloren ihre mörderische Spannung und der Zorn verschwand aus seinem Rückgrat und hinterließ nur ein Rinnsal von Schmerz. Das verzerrte Gesicht über dem schwarzen Kragen gehörte Evon Vorhalas.
»Ach, doch nicht sie beide«, stöhnte Cordelia. Hass ließ Vorhalas stoßweise atmen, als er sein beabsichtigtes Opfer wütend anstarrte. »Du Scheißkerl, du schlangenkalter Scheißkerl. Sitzt da kalt wie Stein, während sie ihm den Kopf abschlagen. Hast du da was gefühlt? Oder haben Exzellenz es genossen? Ich habe mir an dem Tag geschworen, ich werde dich umlegen.«
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Es herrschte ein langes Schweigen, dann lehnte sich
Vorkosigan nahe neben ihn und stützte sich mit einem Arm
neben Vorhalas Kopf auf der Wand ab. Er flüsterte heiser: »Du hast mich verfehlt, Evon.«
Vorhalas spie ihm ins Gesicht, der Speichel war blutig von den Verletzungen seines Mundes. Vorkosigan machte keine Anstalten, sich abzuwischen. »Du hast meine Frau verfehlt«, fuhr er in einem langsamen, weichen Tonfall fort. »Aber du hast meinen Sohn getroffen. Hast du von süßer Rache geträumt? Du hast sie. Schau in ihre Augen, Evon. Ein Mann könnte ertrinken in diesen meergrauen Augen. Ich werde für den Rest meines Lebens jeden Tag auf sie schauen. Also verschlinge deine Rache, Evon. Trinke sie. Hätschle sie. Hüll dich in sie während der Nachtwachen. Sie gehört dir. Ich vermache sie dir ganz. Ich habe mich an ihr schon voll gefressen bis zum Überdruss und habe jede Lust daran
verloren.«
Vorhalas schaute an Vorkosigan vorbei auf Cordelia. Sie
dachte an das Kind in ihrem Leib, dessen zartes Skelett aus jungen, noch knorpeligen Knochen vielleicht schon jetzt zu faulen, sich zu krümmen und aufzulösen begann, aber sie konnte Vorhalas nicht hassen, obwohl sie es einen Augenblick lang versuchte. Sie konnte ihn nicht einmal als rätselhaft empfinden. Sie hatte ein Gefühl wie das zweite Gesicht, dass sie direkt in seinen verwundeten Geist schauen konnte, wie Ärzte mit ihren diagnostischen Sichtgeräten in einen verwundeten Körper schauen. Jede Verzerrung und Träne und emotionale Schramme, jedes junge Geschwür von Groll, das aus ihnen wuchs, und vor allem die große, klaffende Wunde
von seines Bruders Tod erschienenen rot gesäumt vor ihrem
geistigen Auge.
»Er hat es nicht genossen, Evon«, sagte sie. »Was hätten Sie denn von ihm gewollt? Wissen Sie das überhaupt?«
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»Ein bisschen menschliches Erbarmen«, knurrte er. »Er hätte Carl retten können. Selbst dann hätte er es noch gekonnt. Ich dachte zuerst, deshalb wäre er gekommen.«
»0 Gott«, sagte Vorkosigan. Er wirkte todunglücklich
angesichts der aufblitzenden Vision von Aufstieg und Fall der Hoffnungen, die diese Worte hervorriefen. »Ich spiele nicht Theater mit dem Leben von Menschen, Evon!«
Vorhalas hielt seinen Hass wie einen Schild vor sich: »Fahr doch zur Hölle!«
Vorkosigan seufzte und stieß sich von der Wand ab. Der
Arzt drückte sich bei ihnen herum, um sie in das wartende
Fahrzeug zu bugsieren, das sie zum Kaiserlichen
Militärkrankenhaus bringen sollte. »Führen Sie ihn ab,
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