Vorkosigan 15 Ein friedlicher Angriffsplan
bestimmte boshafte Art von Humor etwas übrig hat.«
Ekaterin überließ es Hugo, den Hinweis zu
entschlüsseln, dass es schlimmere Gefahren geben mochte, die einer schutzlosen Witwe zustoßen konnten, als die Beachtung durch einen bestimmten unterdurchschnittlich großen Grafenerben, und sie folgte dem Gefolgsmann in ein offensichtlich privates Liftrohr. Es trug die Gruppe in den ersten Stock zu einem weiteren schmalen Korridor, der in einer diskreten Tür zur Galerie endete. Ein KBS-Wachtposten stand davor; ein weiterer hatte eine dazu passende Kreuzfeuerstellung auf der anderen Seite der Galerie inne.
Die Galerie, die eine Aussicht auf die Ratskammer
gewährte, war zu etwa drei Vierteln besetzt; unter den gut gekleideten Frauen und den Männern in grünen Militäruniformen oder adretten Anzügen summten leise Gespräche. Ekaterin kam sich in ihrem schwarzen
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Trauerkleid plötzlich schäbig und auffällig vor, besonders als Gregors Gefolgsmann für sie in der Mitte der vordersten Reihe Platz schaffte, indem er höflich, aber ohne Erklärung fünf junge Herren, die dort saßen, bat, sich umzusetzen. Gegen einen Mann in dieser Livree erhob niemand Protest. Sie lächelte ihnen entschuldigend zu, als sie an ihr vorbeigingen; die Männer betrachteten sie ihrerseits neugierig. Ekaterin platzierte Nikki sicher zwischen sich und Tante Vorthys. Hugo und Vassily saßen zu ihrer Rechten.
»Sind Sie schon einmal hier gewesen?«, flüsterte
Vassily und blickte sich mit genauso großen Augen um wie Nikki.
»Nein«, erwiderte Ekaterin.
»Ich war schon einmal hier, vor Jahren auf einem Schulausflug«, gestand Hugo. »Der Rat hatte damals natürlich keine Sitzung.«
Nur Tante Vorthys schien durch die Umgebung nicht
eingeschüchtert zu sein, aber sie hatte ja schließlich in ihrer Eigenschaft als Historikerin noch vor Onkel Vorthys'
Ernennung zum Lord Auditor die Archive von Schloss
Vorhartung ziemlich oft besucht.
Gespannt ließ Ekaterin ihren suchenden Blick durch den Sitzungssaal wandern, der sich wie eine Bühne unter ihr erstreckte. Bei einer Plenarsitzung war die Szenerie äußerst farbenfroh: all die Grafen in den elegantesten Versionen ihrer Hausuniformen. Sie suchte in dem bunten Durcheinander nach einer kleinen Gestalt in einer Uniform in – verglichen mit manchen anderen – gedämpftem und - 757 -
geschmackvollem Braun und Silber… dort! Miles stand
gerade von seinem Pult auf, in der vordersten Reihe an der Kurve zu Ekaterins rechter Seite. Sie fasste das Balkongeländer, er schaute aber nicht zu ihr herauf.
Es war undenkbar, ihm zuzurufen, selbst wenn im
Augenblick niemand den Sprecherkreis besetzt hielt;
Zwischenrufe von der Galerie waren nicht erlaubt, während der Rat tagte, und niemandem außer den Grafen und den Zeugen, die sie aufrufen mochten, war gestattet, das Parkett der Ratskammer zu betreten. Miles bewegte sich unbefangen inmitten seiner mächtigen Kollegen und ging hinüber zu René Vorbrettens Pult, um sich mit ihm zu besprechen. Wie heikel es auch für Aral Vorkosigan gewesen sein mochte, seinen behinderten Erben vor all diesen Jahren in diese Versammlung zu schicken, die Grafen hatten sich offensichtlich inzwischen an ihn gewöhnt. Ein Wandel war möglich.
René blickte zur Galerie empor, sah sie als Erster und lenkte Miles' Aufmerksamkeit nach oben. Miles hob das Gesicht zu ihr und seine Augen weiteten sich in einer Mischung aus Freude, Verwirrung und – als er Hugo und Vassily wahrnahm – Besorgnis. Ekaterin wagte ein beruhigendes Winken, d. h. sie hielt die offene Hand vor ihre Brust und legte sie schnell wieder in den Schoß. Miles erwiderte mit dem seltsamen, trägen militärischen Gruß, den er benutzte, um eine erstaunliche Vielfalt von Kommentaren zu übermitteln. In diesem Fall eine wachsame Ironie, unterlegt mit tiefem Respekt. Sein Blick wanderte weiter zu Tante Vorthys; er hob hoffnungsvoll fragend die Augenbrauen und nickte ihr grüßend zu, was - 758 -
sie erwiderte. Auf seinen Lippen erschien ein Lächeln.
Richars Vorrutyer, der mit einem Grafen in der vorderen Pultreihe sprach, sah Miles' Gruß und folgte dessen Blick hinauf zur Galerie. Richars trug schon die blau-und-graue Uniform seines Hauses, das komplette Gewand eines Grafen. Er betrachtet sehr viel als selbstverständlich, dachte Ekaterin mit heftiger Missbilligung. Einen Moment später erkannte er sie wieder und schickte einen bösartig finsteren Blick zu ihr hoch. Sie blickte ebenso finster zu
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