Vorläufige Chronik des Himmels über Pildau. Roman
alle anderen in der kleinen Dorfschule. Wir hatten keinen Fotoapparat in Pildau, deswegen habe ich nur noch eine vage Vorstellung, wie sie damals war, aber in dieser Vorstellung sieht Lada aus wie der letzte Sprössling einer Adelsfamilie. Die Jungs bewunderten sie aus einer noch ziemlich unklaren Regung, die Mädchen fürchteten sie aus einem schon ziemlich sicheren Instinkt. Ich war beiden Ansätzen gleich nah.
In meiner Erinnerung waren wir anfangs alle Schulstunden unzertrennlich, Lada war mein Hadrianswall gegen die anderen und in den Pausen meine Zuflucht, trotzdem war sie nicht sonderlich an einem Geheimbund interessiert, der mir als ideale Gesellschaftsform unter interessanten Menschen in feindlicher Umgebung erschien. Wir hatten einen Platz auf der Kante des kleinen Steinbrunnens, der im Pausenhof plätscherte. Wenn die anderen Wasser spritzen wollten, genügte ein leises Zischen von Lada, und sie ließen es. Ich kann nicht sagen, was wir die ganze Zeit in der Schule so nebeneinander eigentlich trieben, es war nicht viel. Lada war immer ruhig, sie beobachtete nachlässig, was vor sich ging, und ließ sich von ihren Bewunderern gelegentlich einen Apfel schenken, den sie mit nachdenklicher Miene niemals mehr als halb aß. Die Jungs warfen ihr Zettelchen zu, sobald sie schreiben konnten, und vollführten in ihrer Nähe Schaukämpfe. Ein besonders auffälliger Junge, der Wieser genannt wurde, nahm sie eines Tages, es war vielleicht in der dritten Klasse, in der Pause am Arm und zerrte sie in eine Ecke des Pausenhofs, in der ein Haselnussgebüsch war, vielfach von Schleichwegen durchkreuzt. Ich folgte den beiden in vagem Abstand, ohne Lada war ich sofort ein wehrloses Ziel, bis mich schließlich die Freunde des Wieser in Form einer stumpf knuffenden Mauer aufhielten. Mit der Klingel kamen die beiden wieder hervorgekrochen, Ladas Blick ging gelangweilt über die spielenden Kinder, als müsste sie nachholen, was in der Zwischenzeit geschehen war. Neben mir hielt sie einen Moment lang inne, das war eines der wenigen Zeichen ihrer öffentlichen Gunst, und ich war so dankbar dafür, dass ich den Wieser und das Haselnussgebüsch fast gleich vergessen konnte. Er packte sie nie wieder am Arm.
Unsere Heimwege nach Pildau, immerhin ein Fußmarsch von einer guten Dreiviertelstunde, waren schweigsame Spaziergänge, bei denen ich, befreit von der Schulenge und voll Vorfreude auf den Großvater, rechts und links auskniff, Stöcke, Steine und Maiskolben suchte und tausend besondere Stellen kannte. Lada zog ungerührt voran und blieb nur an jener Stelle stehen, kurz bevor der Weg in das Waldstück ging, wo man die Hofstange schon sah. Das war mein Signal, das Streunen einzustellen, den letzten Abschnitt gingen wir gemeinsam. Wenn der Mais hoch stand, war es am Ende ein einziger Hohlweg, der uns erst eine Kehre vor dem Haus wieder ins Freie entließ.
Auch in Pildau hatte unser Schulleben einige Veränderungen mit sich gebracht. So schien den Opis die alte Waschstelle in der Küche, die uns immer genügt hatte, mit zwei schulpflichtigen Kindern nicht mehr angemessen. Der Großvater hatte deshalb in dem winzigen Raum, der bisher als halbherzige Vorratskammer hinter der Küche gedient hatte, eine Brause konstruiert, ich hatte helfen dürfen, mit dem Hammer und einem ganz schmalen Eisenstift Löcher in einen alten Topf zu schlagen. Das war unser Duschkopf. Gewärmt wurde das Duschwasser in einem Kessel über dem Ofen, es war immer sehr kostbar. Wenn es im Kessel nahezu kochte, ließ man kaltes Brunnenwasser durch die Leitung dazuströmen und hatte einen warmen Schauer aus dem Duschtopf. Nicht selten aber war die Mischung unausgewogen, sodass die ersten Sekunden in der Vorratskammer in unbehaglicher Erwartung vergingen. Trotzdem war diese neue Ausstattung jetzt allabendlich Gegenstand unserer Bewunderung, der Großvater heizte den Kessel, und dann verschwanden entweder mein Vater oder wir Kinder in der Duschkammer. Die Außenstehenden deuteten aus den Lauten von drinnen lustvoll die Temperatur der ersten Liter. Es war der Großvater, der in diesem Frühling mit Dusche in Pildau noch einen weiteren Nutzen seiner Apparatur entdeckte und ein paar Karotten und Mangoldblätter mit hineinnahm. Er wusch nicht nur sich, sondern auch das Gemüse, das immer mit einer feinen, dunklen Erdschicht aus unserem Garten kam. Es wurde also zur Regel, erst sich und dann mit den letzten Litern des Kessels noch das Gemüse zu reinigen, das man
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