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Vorläufige Chronik des Himmels über Pildau. Roman

Vorläufige Chronik des Himmels über Pildau. Roman

Titel: Vorläufige Chronik des Himmels über Pildau. Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Max Scharnigg
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Empires war wie das
rising to the occasion.
    Während ich den Brei löffelte, sah der Großvater aus dem Fenster und sagte: »Was für ein Unsinn, den feuchten Mais zu ernten, nicht wahr, Jasper?« Ich sah erstaunt auf, und erst nach einer Weile merkte er, dass ich aufgehört hatte zu löffeln. Er blickte mich erschrocken an, sagte nichts, nickte dann nur sehr wenig mit dem Kopf. »Ich habe es schon mal gesagt, nicht wahr? Ich habe denselben Satz schon mal gesagt. Vorgestern, oder?«
    »Nein, an dem Tag, als die Lene gefahren ist, da hast du es genauso gesagt.«
    Beim Großvater wusste man nie, ob es ein Spiel war und ob es vielleicht nur darum ging, alte Sätze haargenau wieder so zu sagen. Aber das war es nicht. Der Großvater stellte ohne ein Wort die Tasse hin und sah lange nach der Stange. Den restlichen Tag verbrachte er in der Scheune, und als ich durch ein Astloch in der Bretterwand, auf dessen Höhe ich gerade so gewachsen war, nachsah, was er trieb, ließ er die alten Klappen des Rübenernters Universal sich bewegen, auf und zu, immer wieder. Es sah aus wie ein rostender Fisch, der nach Luft schnappt.

The Original Pildauer
    Die Zeit in Amerika wäre das, worüber er in seinen letzten Tagen wohl erzählen würde, aber das wusste Ludwig Honigbrod so wenig, wie alle anderen Menschen es vorher wissen. Es schien ihm jedenfalls, als wäre er die ganzen Jahre ohne Sinnesorgane gewesen und als kämen sie erst im Hafen von New York zurück, angefangen mit dem Salz des Atlantiks auf seinen Lippen. Er besah alles ganz neu, er roch, fühlte, schmeckte unerhörte Dinge und trieb ganz allein für sich durch diese Welt.
    Die Fabrik, die ihn eingeladen hatte, hatte ihm einen jungen schwarzen Fahrer-Boy geschickt und zeigte sich auch sonst großzügig, er schlief in Hotels, hielt zwei Vorträge über den Rübenernter, bei denen ein Dolmetscher seine Worte übersetzte und für die er jeweils einen Scheck überreicht bekam. Die Firma lag im Osten, hoch oben an der Grenze zu Maine, sie fuhren alles mit dem Auto, und in jedem Hotel, in dem er abstieg, wartete etwas auf ihn, ein Strauß Blumen, ein Korb mit Schokolade, ein Bilderalbum der Gegend. Die Kriege, dachte Ludwig Honigbrod eines Abends, als er auf der Bank eines Motels saß und auf eine sauber eingezäunte Weide sah, dahinter eine Ahnung der hochstäubenden Gischt des Meeres, die Kriege haben mir mein ganzes Leben vorenthalten. Was wäre er hier geworden, wenn er dreißig Jahre früher vom Schiff gestiegen wäre, in diesem Land, in dem alle Wege ins Endlose gebaut waren und jeder ihm frei ins Gesicht sah. Er sah Supermärkte, rauchende Frauen, Musikautomaten, Leuchtschilder, Coca-Cola, Wasserski, Tonbandgeräte, mannshohe Kühlschränke, Eiscreme, Kino für Autos, Witzemacher und Staubsauger. Eine Einöde, dachte er, ist eine veraltete Idee und keinesfalls das Richtige.
    Als er die Halle betrat, in der
The Original Pildauer
produziert wurde, hielten die Bänder still, die Arbeiter drehten sich zu der kleinen Gitterplattform, auf die er mit dem Bürovorsteher hinausgetreten war, und applaudierten ihm. Für alle war er der
engineer from Germany
, niemand fragte nach seiner Ausbildung, man munkelte, er hätte an Raketen geforscht, und alle Ingenieure hatten Kopien seiner Pläne an den Wandtafeln, die er unterschreiben musste. Aber die Maschine war doch sehr verändert, als er darin saß, musste sich Ludwig eingestehen, dass sein Entwurf aus der Scheune einige Fragen unbeantwortet gelassen hatte. Nur seine beiden Sortierflügel, in denen er die Tragflächenkonstruktion der Spitfire verbaut hatte, waren nahezu gleich geblieben, und auch manches, was er sich zur Reinigung der Rüben im Inneren gedacht hatte, sah exakt so aus, wie er es in seinem Kopf angelegt hatte, damals im Erdkeller. Wie er so in den Teilen von
The Original Pildauer
herumkroch und schon über drei Wochen in Amerika war, bekam Ludwig, als er den Kopf einmal etwas zu langsam zur Seite wandte, brennendes Heimweh nach seiner Scheune, und auch das war etwas Neues, von dem er sich fest vornahm, es nicht mehr zu vergessen.
    Obwohl das Heimweh fortan sein Begleiter war, dachte Ludwig Honigbrod lange nicht an eine Rückkehr. Es schien ihm ganz unmöglich. Er wurde gelegentlich Deutschen vorgestellt, die ausgewandert waren, manche schon vor dem Krieg, es waren Persönlichkeiten darunter, Physiker und Konstrukteure, und einige kannten die Geschichte der Pildauer Erntemaschine und sprachen mit Ludwig ganz so, als

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