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Vorläufige Chronik des Himmels über Pildau. Roman

Vorläufige Chronik des Himmels über Pildau. Roman

Titel: Vorläufige Chronik des Himmels über Pildau. Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Max Scharnigg
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Er stellte den Koffer mit dem Tonbandgerät vorsichtig im hohen Gras vor der Hofstange ab, sie war so schön. Ab morgen würde er längen und nachholen, was er versäumt hatte. Er sperrte alles auf, öffnete alle Fenster, nur die Scheune mit dem halbfertigen Rübenernter ließ er abgeschlossen und lebte fortan als einfacher Mann, immer nur darauf bedacht, nicht seltsam zu werden oder zu alt. Es wurde sehr ruhig um ihn. Er drehte morgens den ewigen Kalender einen Tag weiter, aber er hätte ihn auch einen Tag zurückdrehen können, das hätte keinen Unterschied gemacht. Er hatte wunderbare Frühlinge und machte Holz für viele Winter, aber beides hatte keinen Sinn, wenn es niemanden gab, dem man davon erzählen konnte. Wenn es ihm arg wurde, ging er ins Dorf und sah sich um, sie hatten immer etwas Neues, es ging jetzt sehr schnell, auch hier, das Dorf war wie ein Tier, das sich in aller Eile häutete. Er trank ein Bier in der Wirtschaft, von den anderen Tischen sah man zu ihm herüber, aber nie kam einer und lud ihn dazu, die Kinder kicherten, wenn er vorbeiging.
    Ab und zu kam ein Brief von Max. Der Junge schrieb von seiner Schule und welche Fehler die Lehrer machten. Diese Schule hieß Eton, und er schrieb, er sei der einzige Ausländer seit langer Zeit, der dort ein Stipendium für sein Schulgeld bekommen hätte, die Geschichte vom Widerstand gegen die Nazis war dabei wohl hilfreich gewesen. Max notierte ihm gewissenhaft, welche Bücher er gelesen hatte, und kommentierte außenpolitische Ereignisse, von denen Ludwig noch nie gehört hatte, den meisten Platz aber räumte er Schilderungen von seltsamen Schulregeln, Anekdoten über die Lehrer und ehemalige Schüler und einer Art Wörterbuch ein, denn jedes Spiel, jeder Platz an dieser Schule schien einen eigenen Namen zu haben, sie hatten sogar eigene Sportarten. Ludwig fand manches von diesen Dingen sehr seltsam, aber er fühlte, dass es genau die richtige Schule für Max war, das Gegenteil von Pildau, und der leise ziehende Schmerz dieser Einsicht war ihm oft genug der Beweis, noch am Leben zu sein.
    Er fing an, zu fischen und Pfeife zu rauchen. Das waren beides ausgezeichnete Methoden, um Zeit zu verbringen. Auf dem Weg zum Altwasser blieb Ludwig lange an der Aussicht stehen. Sie hatten die Straße verbreitert, und sobald sie damit fertig gewesen waren, waren die Autos gekommen, als hätten sie nur darauf gewartet. Viele Autos, nicht so groß wie in Amerika, aber sehr schnell. Er betrachtete sie lange und merkte sich jedes neue Modell, manchmal ging er auch bis an die Straße und hörte den Motoren zu und las im Vorbeifahren die Namen der Autos. Karpfen fing er und Hechte und nur ein einziges Mal eine Schleie, die trug er lebend nach Hause, weil sie so golden war mit ihren winzigen Schuppen und ihn mit den kleinen, roten Augen so fern und weise ansah. Er setzte sie in den Löschweiher und versprach, ihr bald auch noch eine zweite und dritte Schleie zu bringen, aber er fing keine mehr, sosehr er sich auch bemühte.
    Einmal im Jahr kam ein Brief von der amerikanischen Firma, in dem ein paar Zahlen standen.
The Original Pildauer
schien sich zu verkaufen, jedenfalls waren die Zahlen auf seinem amerikanischen Bankkonto höher, als Ludwig das je erwartet hatte, und auch die Lizenzen trugen ihren Teil dazu bei. Es gab schon eine weitere Pildauer-Fabrik in Südamerika, ein Foto lag dabei, außerdem kamen nach einigen Jahren ausgeschnittene Zeitungsberichte von Rekorden, die Bauern in ganz Amerika mit dem Pildauer erzielt hatten, es schienen sogar Wettrennen damit ausgetragen zu werden. Er brauchte wenig Geld, aber gelegentlich ließ er sich telegrafisch etwas von den Dollar anweisen, dann fuhr er in die Stadt, ging zum Schuster und in das Pfeifengeschäft, trank Coca-Cola, und das genügte ihm im Großen und Ganzen.
    Obwohl er jetzt jedes Material haben konnte, baute er nur noch wenig, es hatte seinen Reiz verloren, wenn er nicht improvisieren musste, so hielt er vor allem noch die Hydraulik der Hofstange in Ordnung, und einmal deckte er den ganzen Sommer lang das Dach neu, wusch jeden einzelnen Ziegel und hatte am Ende sogar noch ein Dutzend Dachziegel übrig, so genau hatte er sie gelegt. Er wurde an einem 27 . Oktober krank, sehr krank, lag wochenlang in der Kammer und wäre fast verhungert. Als er wieder einen Schritt ohne Schwindel und Übelkeit gehen konnte, ließ er sich ein Telefon legen und buk die süßen Dauerfladen aus dem Krieg, eine ganze Kiste unter seinem

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