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Vorläufige Chronik des Himmels über Pildau. Roman

Vorläufige Chronik des Himmels über Pildau. Roman

Titel: Vorläufige Chronik des Himmels über Pildau. Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Max Scharnigg
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wäre er nichts anderes als der Neue in ihrem Bunde. Gerade machte die Geschichte von Niels Bohr die Runde, der mit wenig mehr als einer Glasflasche aus Dänemark gerettet worden war. Diese enthielt angeblich »schweres Wasser«, aber dann war es nur Bier, das unter strengen Sicherheitsvorkehrungen über den Atlantik transportiert wurde. Das war eine Geschichte, dachte Ludwig vor dem Einschlafen, die er unbedingt einmal Max erzählen musste, er würde das mögen.
    Man hielt ihn übrigens oft für einen Juden, und viele gratulierten ihm, dass er es nun hierhergeschafft hätte, in diesen sicheren Garten des Fortschritts, so nannte es einer der Herren. Die größte Befriedigung aber spürte er, als ihm in der Firma ein kleiner Tisch zugeteilt wurde, an dem er noch ein paar Verbesserungen überdachte und sich mit den neuen Teilen der Erntemaschine vertraut machte. Er saß da, kam als Erster, ging mittags nur ein wenig in den Hallen herum, grüßte überall freundlich und hantierte mit ein paar englischen Begriffen, die er gelernt hatte, auch wenn es ihn stach, weil das jetzt die Sprache von Max und Ella war.
    In einem Festakt wurde dann eines schwülwarmen Abends im Juli der erste fertige
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in den Hof gefahren, es war die ganze kleine Stadt gekommen. Ludwig saß auf einer Ehrentribüne und stieg dann als Erster in den Führerstand der Maschine. Sie hatten ein Testgelände mit fertigen Zuckerrüben ausgewiesen, obwohl noch lange nicht Erntezeit war, und der
Pildauer
erntete in weniger als zehn Minuten das halbe Feld, wie dann in der Zeitung zu lesen war, und auch ein Foto von Ludwig Honigbrod war dabei.
    Der Firmenleiter bat ihn am nächsten Tag zu einem Gespräch und öffnete seinen Safe. Darin lagen Patentunterlagen, eine ganze Mappe. Während Ludwig sie in Augenschein nahm, verschwand der Mann und ließ ihn allein. Ludwig blätterte durch die Papiere, sah seinen Namen hier und dort übertragen, sah Zeichnungen von Scharnieren und Gelenken, Aufhängungen und Schaltwegen. Die Uhr über dem Schreibtisch tickte, es gab hier immer ein Geräusch, auch in allen seinen Motelzimmern summte es, oder der Eiswürfelautomat im Gang klackerte, und wenn es kein Geräusch gab, so war doch etwas aus einem Radio, das irgendwo lief. Auf dem Fenster lag eine feine Staubschicht, Ludwig sah einen Mann an einer Tankstelle auf der anderen Straßenseite, etwa in seinem Alter, der einen niedrigen Truck betankte und danach zurückschlurfte, hinter seine Registrierkasse. Da wusste er, dass er jetzt am weitesten von zu Hause weg war. Er ließ in der Mappe alles so, wie es war, und bat den Firmenleiter zurück ins Zimmer. Wenn er es richtig verstanden hatte, stand ihm für jeden verkauften
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ein gewisser kleiner Prozentbetrag zu, außerdem für alle Lizenzen, die die Firma davon verkaufte. Ob er die Lizenz für den deutschen Markt übernehmen wolle, wurde er noch gefragt. Ludwig sah die Bauern aus dem Dorf vor sich, denen seit jeher alles Neue so zuwider war, die ihr Leben lang nichts taten, als zu feilschen und zu klagen, und entschied sich, damit nichts anzufangen.
    Er bedankte sich bei allen, die er getroffen hatte, sie schenkten ihm noch einen Fotoapparat, und er machte Aufnahmen von jedem Winkel und ließ sich selbst vor einem Schild fotografieren, auf dem
The Original Pildauer
stand, in schwungvoller Schrift. Zurück fuhr er wieder mit dem Fahrer-Boy, Ludwig hatte ihn recht gern, er lachte oft und zeigte dann die erstaunlichsten Zähne, die Ludwig je gesehen hatte. In einer Zeitung im Motel las er von Eddie Slovik. Der einzige Soldat der US -Armee, der wegen Fahnenflucht hingerichtet worden war. Ein Einziger von Millionen, das ging Ludwig lange nach. Warum der? War nicht die Angst, wegen der Slovik in Frankreich nach Kriegsgericht erschossen wurde, in allen gewesen, war er, Ludwig, nicht in der gleichen Angst im Erdkeller gesessen? Es ließ ihn nicht los. Er schrieb der Witwe Sloviks einen Brief, es war ihm, als wäre es das Kühnste und Ehrlichste, was er jemals getan hatte. Er schrieb ihr von nichts als seiner eigenen Angst, wenige Sätze nur, so gut war sein Englisch nicht. In New York kaufte er ein Tonbandgerät in einem Koffer, gab dem Fahrer-Boy hundert Dollar und versprach sich und den klinkernden Fahnen am Hafenbecken leise, er würde wiederkommen.
     
    Als er in Pildau ankam, war es Herbst. Der Mangold, die gelben Rüben, wuchernde Gurken, alles, was er vor langer Zeit ausgesät hatte, stand ihm wild Spalier.

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