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Vorläufige Chronik des Himmels über Pildau. Roman

Vorläufige Chronik des Himmels über Pildau. Roman

Titel: Vorläufige Chronik des Himmels über Pildau. Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Max Scharnigg
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»Das war noch nicht fertig.« Mehr brachte ich nicht heraus.
    Der Großvater nickte. »Aber das Band ist ganz kaputt, Jasper, ich muss versuchen, ob man es kleben kann. Wo hast du das denn gefunden?«
    Beinahe, beinahe hätte ich es gesagt, aber dann blieb ich einen Schritt vor der Wahrheit stehen und antwortete nur: »Im Wald gefunden«, begleitet von der vagen Handbewegung in Richtung des steilen Berges, das war ja wohl keine richtige Lüge.
    »Die Sloviks haben das auch gehört.« Er stützte sich mit den großen Gartenhänden auf das Fensterbrett der Küche und sah hinaus in den alten Hof, wo einmal zweiunddreißig bunte Zelte gestanden hatten, aber das war schon wieder so lange her.
    Ich stand noch immer vor dem Koffer und besah mir das flatternde Ende des Bandes, es verriet nichts. War es möglich, dass der ganze Straßenrand voller Musik hing? Wir hatten die Glitzerbänder bei unseren Wanderungen gar nicht mehr beachtet, aber nun sah die Sache anders aus. Ich berichtete Lada von der Vorführung, der Großvater hatte mir die Tasten erklärt, vorsichtig drehte ich das Band zurück, es war sehr schwierig einzuklemmen. Diesmal leierte es ganz anders, manches an den Tönen schien mir völlig neu, anderes erkannte ich wieder, der Mann mit der heiseren Stimme, sein Herumpoltern, bevor ihn die Musik einholte, die Momente, in denen er plötzlich wieder allein stand, das machte auch Eindruck auf Lada. Sie ließ den Kofferdeckel zuschnappen, riss den Stecker heraus und schleppte den Koffer zur Tür. Sie wollte ins Lager damit und mehr von den Bändern holen. Das war eine ausgezeichnete Idee, doch etwa auf Höhe der ersten Bäume, als Pildau schon unter uns lag, in einem Schneetreiben aus frischweißen Kirschblüten, fiel uns ein, dass wir ja Strom brauchten.
    »Dann hören wir das eben im Zimmer«, sagte ich.
    Lada war bereits wieder weiter. »Oder in der Kapelle.« Sie funkelte mich an. Die Kapelle war eigentlich abgeschlossen, seit der Großvater den Schwamm im Dachstuhl entdeckt hatte, aber wir wussten, dass der Schlüssel für das Schloss einfach nur in der Küchenschublade lag. Es gab dort eine Steckdose, ganz bestimmt, denn die Kapelle hatte nur ein winziges, rundes Fenster über dem Altar und war von den Kerzen so rußig geworden, dass der Großvater nach der Renovierung eine kleine Lampe an die Wand geschraubt hatte.
    An diesem Tag gingen wir die Straßenseite ab, bis wir zu einer Unterführung kamen, man kann sagen, dass der Straßenrand bis dorthin dank uns ausgesprochen aufgeräumt war. Ich hatte die Existenz dieser Unterführung seit der Erzählung meines Vaters beinahe vergessen, obwohl ich doch jedes Wort davon behalten wollte, bis einmal die Zeit war, sie aufzuschreiben. Es war nicht ganz klar, warum die Straße hier unterführt wurde, denn der Weg, der hindurchging, war derselbe verwachsene Feldweg, auf dem langes Gras wuchs. Es kam kalte Luft aus dem Tunnel, an den Wänden lief dünnes Wasser, das grüne Moosbilder hatte wachsen lassen. Oben donnerten die Autos, aber nur so lange, bis man unter ihnen stand, dann waren sie nur noch ein schnelles, drückendes Gewicht über den Köpfen und leise. Mich fröstelte, dabei war ja das andere Ende mit der Sonne nicht weit. Lada zog mich durch die Höhle. Drüben, auf der anderen Seite der Straße, an die ich nie einen Gedanken verschwendet hatte, sah es genauso aus wie bei uns. Nur der Berg mit den dünnen Eichen fehlte, und mit ihm das Gefühl, dass es bloß ein bisschen Laufen und Augenzudrücken brauchte, bis man in Sicherheit wäre. Aber es war noch etwas anders. Dies war die Straßenseite, die nach Osten und auf die Grenze zuführte. Die Lastwagen fuhren in durchgehender Kolonne auf dem rechten Streifen, die Büsche am Straßenrand waren von ihrem ständigen Luftwirbel zerworfen. Lada war elektrisiert, das war Neuland, hier hatten wir noch nie gesucht. Unsere Aufgabenverteilung war immer gleich. Lada zog durch die Büsche und schleuderte, was sie fand, zu mir, ich lief emsig herum, sammelte auf und nahm die erste Schätzung vor. Nach einigen Metern merkten wir schon, dass der Straßenrand hier ergiebiger war. Lada kam kaum vorwärts, schließlich ließ sie ihren Suchstock fallen und warf mir mit beiden Händen die Sachen zu. Es war erstaunlich, wie sich die Ausbeute von der anderen Seite unterschied. Hier flatterten mir Hefte und Fotos entgegen und sorgsam verpackte Tütchen und kleine Pakete. Jetzt erst sah ich, dass auch überall in den Bäumen lose

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