Vorn
sich eh
nicht an mich erinnern, die bewegt sich ja inzwischen in vollkommen anderen Sphären.« Tobias fiel jetzt selbst oft auf, wie
weit das
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Magazin von seinen bisherigen Kreisen entfernt war. In der Redaktion ging es ständig um irgendwelche Moderatorinnen oder Fernsehschauspielerinnen,
die mit Anne und Carla befreundet waren und später noch auf einen Cappuccino in die Mio Bar vorbeikommen würden, in der kleinen
Einkaufspassage neben der Redaktion. Ein paar Monate zuvor hatte Tobias mit dieser Welt noch nichts zu tun gehabt. Am Ende
seiner Studentenzeit war er mit Stefan zwei-, dreimal auf Festen gewesen, die der ältere Bruder von Stefans Freundin veranstaltete.
Dieser Bruder arbeitete als Kameramann bei einem Privatsender, und unter den Gästen seiner Partys waren immer ein paar gutaussehende,
betont gelangweilt wirkende Mädchen, von denen es hieß, dass sie gerade in einer neuen Vorabendserie oder einer Fernsehkomödie
mitspielen würden. Eine, die Tobias vor allem im Gedächtnis geblieben war, ein unglaublich hübsches Mädchen namens Liane,
tauchte nun hin und wieder in der
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Redaktion auf. Tobias stellte ein wenig amüsiert fest, wie sehr sich ihr Verhalten unterschied im Vergleich zu den Partys
damals. Sie begrüßte alle in der Redaktion sehr herzlich, erhoffte sich im
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Magazin vielleicht |46| ein kleines Porträt oder Interview, und Tobias kam es in solchen Augenblicken immer vor, als würde er durch das Heft eine
zweite, parallel existierende Gemeinschaft von Menschen in der Stadt kennenlernen. Mit den Schauplätzen seines eigenen Lebens,
der Universität, dem Flüchtlingsheim, Kneipen wie dem Substanz, wo sich die Undone-Leute immer trafen, hatte diese Gemeinschaft
so gut wie nichts zu tun.
Die alten Freunde versuchte Tobias aber regelmäßig in seinen Artikeln unterzubringen, vor allem die Band, die er seit der
Gründung gut kannte. Er hatte ihren Weg von den ersten Auftritten in Jugendzentren zu den Konzerten in großen Münchner Hallen
die ganzen Jahre über mitverfolgt. Von Anfang an war er Teil jener Gefolgschaft aus Freunden gewesen, die jede Band schon
nach den ersten Proben im Übungsraum umgibt. In den allermeisten Fällen vergrößert sich dieser Kreis dann nicht mehr übermäßig,
doch bei Undone war es anders: Der Moment, auf den beinahe alle Bands vergeblich warten – dass sie aus den reinen Privatzusammenhängen
heraustreten –, kam bei ihnen schon nach kurzer Zeit. Die Resonanz auf die Konzerte war fast immer enthusiastisch, und je
größer die Anzahl der Fans, Musikerkollegen und Journalisten wurde, die sich für die Band begeisterten, desto mehr fühlten
sich auch diejenigen geschmeichelt, die immer schon in ihrer Nähe gewesen waren – so als hätten sie selbst ein wenig Anteil
am Erfolg. Tobias empfand fast eine Art Stolz, wenn er bei Konzerten sah, wie beeindruckend sie inzwischen zusammenspielten,
Lars, der etwas verschrobene Schlagzeuger der Band, Oliver am Bass, |47| David an der Gitarre. Und wie beeindruckend David aussah! Er war groß, drahtig, hatte millimeterkurze schwarze Haare, und
auf der Bühne nahm er immer die leicht gebeugte Körperhaltung ein, mit angespannten Unterarmen, die er sich von den Gitarristen
amerikanischer Hardcorebands abgeschaut hatte. Seinen kunstvoll kaputten Gitarrensound hatte David über die Jahre hinweg perfektioniert,
mit zwei hintereinandergeschalteten Fender-Verstärkern, Verzerrern, die er sich aus Osteuropa kommen ließ, und einer besonderen
Kombination von Tonabnehmern an seiner alten Telecaster-Gitarre. Schlagzeug, Bass und Gitarre bildeten den Hintergrund des
Undone-Sounds, immer angetrieben von Olivers No-Means-No-artigen Bassriffs, einem großen Vorbild der Band. Darüber lagen Marius’
klassisch geschulter Gesang und Florians Trompetenlinien: zwei für diese Musikrichtung völlig untypische, fast filigrane Elemente.
Wenn Tobias die Band zu Touren oder Festivals begleitete, in Städte, wo man sie noch nicht so gut kannte, freute er sich schon
immer auf den Moment, in dem das Konzert begann. Die meisten Zuschauer waren nur begrenzt an Undone interessiert, warteten
eher auf eine der nachfolgenden Bands, doch Tobias wusste immer schon, dass nach zwei oder drei Songs alle völlig in ihrem
Bann stehen würden. Die Wucht des Sounds, die Präsenz von Marius auf der Bühne waren einfach zu stark. Am Ende musste Undone
dann jedes Mal etliche Zugaben
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