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Vorn

Titel: Vorn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Bernard
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zusammen. Sie hatten schon einiges getrunken, als sie eines der Mädchen
     entdeckten, die in den Zelten mit Sofortbildkameras durch die Reihen gehen und zu überteuerten Preisen Bilder |88| von den Gästen anbieten. Alle am Tisch fanden die Fotografin so bezaubernd, dass sie eine halbe Stunde lang bei ihnen blieb
     und unzählige Fotos von der Runde machen musste. Ludwig war dann der Erste, der unbedingt auch zusammen mit ihr aufs Bild
     wollte; er überredete sie, die Kamera für einen Moment Fanny von Graevenitz zu leihen, und Fanny fotografierte dann auch fast
     alle anderen
Vorn
- Redakteure mit dem Mädchen. Am Ende war der halbe Biertisch mit Polaroidbildern in herzförmigen Papierrahmen bedeckt; die
     Aktion kostete den Verlagsleiter des
Vorn
- Magazins mehrere hundert Mark. Als sich die Fotografin gerade verabschieden wollte, ging Tobias noch einmal zu ihr und fragte
     sie, ob sie Lust habe, mit ihm essen zu gehen, wenn das Oktoberfest vorbei sei. Sie sagte tatsächlich Ja, und als er sie nach
     ihrer Telefonnummer fragte, nahm sie einen Stift aus ihrer Tasche und schrieb hinten auf ihr gemeinsames Foto: »Julia 52 45 62 .«
     
    »Und dann heißt die auch noch Julia, ich fass es nicht«, sagte Robert am nächsten Tag, als er bei Tobias am Schreibtisch saß
     und sich noch einmal das Foto ansah, das neben dem Computer stand. Die meisten anderen Bilder aus dem Bierzelt hingen im Sekretariat
     des Verlagsleiters. Tobias wartete bis zum dritten Tag nach dem Ende des Oktoberfests, dann rief er sie an, und weil ihm noch
     kein richtiges Lokal eingefallen war, verabredeten sie sich für den Abend darauf am Rotkreuzplatz, in der Nähe des Hauses,
     wo Julia offenbar noch bei ihren Eltern wohnte. In den Stunden vor dem Treffen überlegte Tobias, wohin sie zum Essen gehen
     könnten; er ging in seinem Kopf die Restaurants durch, |89| die er in der Gegend kannte. Gegen sieben brachen Dennis, Robert und Ludwig von der Redaktion aus ins Schumann’s auf und sagten
     ihm, er könne ja noch nachkommen, wenn er wolle, sie blieben bestimmt lange. Tobias, der sich schließlich für das Freiheit
     an der Landshuter Alle entschieden hatte, fuhr eine halbe Stunde später mit der U-Bahn zum Rotkreuzplatz. Julia sah immer
     noch so unglaublich gut aus wie in seiner Erinnerung, hatte ihre Frisur mit mehreren Haarspangen zusammengehalten, und ihre
     Fingernägel waren mit kleinen weißgelben Blüten lackiert. Als sie jedoch im Restaurant die Speisekarte ungelesen zur Seite
     legte und sagte: »Ich werde eh nur einen kleinen Salat essen«, ließ Tobias’ Begeisterung schlagartig nach, und die Unterhaltung
     war dann auch so mühsam, dass Tobias im Reden ständig neue Themen für sich durchging, um die Pausen möglichst reibungslos
     auszufüllen. Um dreiviertel zehn saß er schon im Taxi zum Schumann’s, und als er im hinteren Teil der Bar auftauchte, war
     seinen Kollegen natürlich sofort klar, dass der Abend ein Reinfall gewesen sein musste. Dennis schaute demonstrativ auf seine
     nicht existente Armbanduhr, brach in lautes Gelächter aus; Tobias rief nur »Ein Debaster!« und bestellte bei Konrad ein Pils.

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    Tobias war in den Monaten vor seinem ersten Artikel immer wieder aufgefallen, wie hübsch die Gesichter waren, die im
Vorn
- Magazin auftauchten. Sie sahen sich auch alle ein wenig ähnlich. Auf einem Cover kurz vor jenem Sonderheft über Liebe war
     etwa ein blondes Mädchen abgebildet, in Nahaufnahme, mit unbeteiligtem, fast schläfrigem Blick und einem unglaublich schönen
     Mund. Am Wochenende nach dem Erscheinen des Hefts glaubte Tobias sie auf einem Münchner Flohmarkt hinter einem Verkaufsstand
     zu erkennen, und er war kurz davor, sie anzusprechen, traute sich dann aber nicht. »Ja, klar«, hatte Stefan, mit dem er unterwegs
     war, damals nur gesagt, »wieder so eine Hübsche mit weichen Gesichtszügen, bei der man nicht weiß, ob sie jetzt besonders
     unbedarft oder besonders arrogant ist.«
     
    Dass Tobias gerade das Typische so faszinierte, hatte er lange Zeit nicht von sich gekannt. Sein Interesse an einem Mädchen
     war, wenn er jetzt zurückdachte, immer von etwas Unverwechselbarem, von einem Überraschtwerden ausgegangen. Als er mit sechzehn,
     siebzehn seine ersten Freundinnen kennenlernte, wäre er nie auf die Idee gekommen, dass sie ihm gefielen, weil sie einem bestimmten
     Typ entsprachen; sie sahen einander auch überhaupt nicht ähnlich. Das Einzige, was sie in Tobias’ Augen

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