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gewesen und absolvierten nun ihr erstes, allenfalls zweites Praktikum; es war noch nicht die Zeit der eloquenten
Dauerpraktikanten, die jahrelang von Redaktion zu Redaktion wechselten (und denen es auch nicht passiert wäre, die falsche
Pluralform von »Praktikum« zu bilden, wie es im
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immer wieder geschah, wenn jemand von den »verschiedenen Praktikas« sprach, für die er sich beworben hätte). Die kurze Vorstellung
endete damit, dass die Neuen noch einige Fragen von Seiten der Redakteure über sich ergehen lassen mussten. In solchen Momenten
tat sich immer Robert hervor: Er prüfte die Praktikanten sofort auf ihre Nähe zum
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- Kosmos. Auf übertriebene, aber nicht ganz unernste Weise kommentierte er ihren Kleidungsstil, sagte: »Cooles Hemd, woher hast
du das?«, oder: »Also, dieses Halstuch würd’ ich an deiner Stelle noch mal überdenken«, und dann kündigte er an, dass die
kommenden Wochen zweifellos ihr Leben verändern würden. Ohne Vorwarnung konnte er sich plötzlich an eine Praktikantin richten
und sagen: »Jetzt noch das Wichtigste: Blur oder Oasis? Sag ja nichts Verkehrtes!« Und wenn sie dann zögerlich antwortete,
dass sie eigentlich beide Bands ganz gern möge, sich nicht festlegen wolle und Musik »sowieso völlig querbeet höre«, antwortete
Robert: |102| »Aha, querbeet also! Hoffentlich wird das in den nächsten Wochen anders.« Die Praktikanten reagierten auf diese verhörartige
Situation mit schüchterner Neugier; sie fühlten sich etwas bedrängt, andererseits aber auch angezogen von Roberts charmanter
Art und dem Wissen, dass sie jetzt für einige Zeit der Sphäre der
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- Redaktion
angehören würden.
Wenn unter den neuen Praktikanten ein hübsches Mädchen war, lief in den Tagen nach ihrem Arbeitsbeginn die immergleiche Flirtmaschinerie
im
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an. Die Methoden der Annäherung waren dabei vorhersehbar. Die Redakteure griffen auf verlässliche Anknüpfungspunkte zurück,
um das Interesse der Neuen zu wecken. So wurde etwa Roberts und Tobias’ Geschichte über die Bedeutung von Mädchennamen mit
dem Auftauchen einer neuen Praktikantin wieder zum Gesprächsthema. Man konnte sich sicher sein, dass einer der beiden schon
in der ersten längeren Unterhaltung mit ihr eine Bemerkung über ihren Vornamen fallen ließ. »Sophie, schöner Name!«, sagte
Robert dann etwa zu einer neuen Praktikantin, die umwerfend aussah, auf die ersten Flirtversuche aber völlig ungerührt reagiert
hatte. »Erinnerst du dich eigentlich an den Artikel, den wir vor ein paar Monaten mal geschrieben haben hier im
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. Dass Mädchen so sind, wir sie heißen?« Sie hatte die Geschichte vage im Gedächtnis und wollte wissen, ob auch ihr eigener
Name darin vorkam. »Nein, der war nicht dabei«, sagte Robert, stellte aber aus dem Stegreif gleich ein paar Überlegungen auf,
was ihm angesichts seiner Übung nicht besonders schwerfiel. »Sophie, na ja, das ist halt ein sehr würdevoller, aber auch |103| bisschen ein altbackener Vorname«, sagte er dann, »besonders wenn er, wie bei dir, auf der zweiten Silbe betont wird. Ich
glaube, dass Sophies oft deshalb so was Verwegenes haben, weil sie immer diese Namenshypothek spüren, die sie brav und distinguiert
wirken lässt. Deswegen schalten Sophies dann so gerne einen Gang hoch, sind im Nachtleben die, die als Letzte nach Hause gehen
und am meisten ausprobieren – praktisch als ständige Rebellion gegen die im Namen angelegte Biederkeit.« Und da Robert seine
Ausführungen natürlich auf die wenigen Dinge, die man in der Redaktion schon über die Praktikantin wusste, ausgerichtet hatte
– auf ihren Nachnamen, der nach altem preußischen Adel klang, auf ihre Internatsvergangenheit in England und ihre Bekanntschaft
mit einem berühmten Londoner DJ –, erkannte sie etwas davon in sich und antwortete mit einem verlegenen Lächeln, dass er da
mit seinen Interpretationen vielleicht gar nicht so falsch liege.
Ein anderer beliebter Ausgangspunkt der Annäherungen hatte mit den italienischen Espressobars zu tun, die zu dieser Zeit überall
in der Münchner Innenstadt eröffneten. Auch in der Nähe der Redaktion gab es seit ein paar Monaten eine solche Bar, ganz in
Segafredo-Rot gehalten. Seitdem Dennis und Tobias sie entdeckt hatten, gingen sie nach den gemeinsamen Redaktions-Mittagessen
in der Zeitungskantine häufig dorthin, um noch einen Kaffee zu trinken. Dieser Moment, wenn die anderen
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