Vorn
Akzent, und
die einzige Möglichkeit, diesen Makel loszuwerden, sah er darin, so langsam zu sprechen, die einzelnen Wörter so stark zu
dehnen, bis ihnen jede regionale Auffälligkeit ausgetrieben war. Auf diese Weise, so der alte Mitarbeiter, müsse diese Sprachmelodie
wohl in die Redaktion gekommen sein und sich von einer logopädischen Technik in den charakteristischen
Vorn
- Sound verwandelt haben.
Ihre Redeweise war aber nicht der einzige Bereich, in dem sich die Nähe der Redakteure zueinander zeigte. Auch die Art zu
schreiben begann sich vor allem zwischen Robert, Dennis und Tobias immer mehr zu vereinheitlichen. Sie teilten die Aversion
gegen einen bestimmten Stil, über Popmusik zu berichten, wie er etwa |110| im Kulturteil der Tageszeitung verbreitet war. Ganze Mittagessen lang konnten sie sich in ihrer Abneigung gegen Konzert- oder
Plattenkritiken überbieten, in denen Wörter wie »schräg«, »schrill«, »Szene« oder »Kult« dominierten, eine betont flapsige,
schematische Sprache mit den immergleichen Versatzstücken, von der sie sich so weit wie möglich abgrenzten wollten. Besondere
Verachtung hatten sie auch für die Synonyme übrig, die in jenen Artikeln oft vorkamen, »Scheibe« für »Platte« oder »Combo«
für »Band«. Überhaupt richtete sich das Schreiben im
Vorn
- Magazin gegen die falsche Jugendsprache in anderen Zeitschriften; bis in die Nacht hinein saßen sie oft gemeinsam über ihren
Artikeln, und die große Zustimmung, die dem Heft von seinen Lesern entgegengebracht wurde, hatte mit dieser Sorgfalt zu tun.
Als Gegenreaktion auf die Floskeln der anderen fingen sie an, in ihren Texten über Bands nicht mehr auf die Musik einzugehen,
sondern nur noch über Begleitumstände zu schreiben wie den Kleidungsstil der Bandmitglieder oder die Gestaltung des CD-Booklets.
In den Interviews, die Dennis und Tobias im
Vorn
führten, fügten sie nun auch die ganzen Vokabeln ihrer gemeinsamen Sprache in die Fragen ein; es wimmelte in den Artikeln
von Wörtern wie »oha«, »verstehe« oder »sogenannt«. Das Heft wurde immer hermetischer, war nun stellenweise fast in einer
Art Geheimsprache geschrieben.
Als Tobias in die Redaktion gekommen war, trug er meistens Jeans und Polohemden von Ralph Lauren. Dennis lief in HipHop-Sachen
herum, weiten Baggy-Pants und Sweat Shirts; außerdem hatte er fast jeden Tag eine rote Jacke mit »Cheeseslider«-Schriftzug
auf |111| dem Rücken an, von einer Frankfurter Band, deren Mitglieder er kannte. Über Johannes Veith hörten sie dann zum ersten Mal
den Namen des Modedesigners Helmut Lang. Johannes war von Dennis und Tobias angetan und wollte sie als Autoren für den Kulturteil
gewinnen. »Zehn Jahre haben der Philipp und ich jetzt auf so Jungs wie euch gewartet«, sagte er einmal in seiner euphorischen
Art. Johannes ging mittlerweile ein-, zweimal in der Woche mit ihnen mittagessen, und gelegentlich kam er mit einer der schmalen
weißen Plastiktüten aus dem Helmut-Lang-Laden, der gleich in der Nähe des Zeitungshauses lag, in den Straubinger Hof oder
ins Plitvice hinein. Johannes besaß kaum etwas anderes als Hemden und Anzüge dieser Marke: »Ich habe meinen Schneider gefunden«,
sagte er manchmal selbstzufrieden, und es gab offenbar viele andere Journalisten bei der Zeitung, bei denen es genauso war.
Dennis und Tobias konnten sich nicht vorstellen, regelmäßig Anzüge zu tragen; die Erinnerung an Konfirmationen, Beerdigungen
oder ähnliche Anzug-Ereignisse war noch frisch, an kratzende Stoffe und steif am Körper anliegende Jacketts, die man so schnell
wie möglich wieder gegen seine gewohnten Sachen eintauschen wollte. Johannes und Philipp hielten aber genau diese Vorstellung
für falsch und versuchten sie für die Idee zu begeistern, einen Anzug gerade ohne jeden Anlass zu tragen. Und bei Helmut Lang,
sagten sie, würden sie solche Sakkos und Hosen auch finden, bequem wie Jeans und T-Shirt, ohne Schulterpolster und Bundfalten.
An einem Nachmittag im Winter gingen Dennis und Tobias zum ersten Mal in die Boutique am Hotel |112| Bayerischer Hof. Der Laden war sehr elegant, doch da gerade »Sale« war, wie Johannes gesagt hatte, und die breite Eingangstür
weit offen stand, traten sie ohne größere Scheu ein. In der Mitte des Geschäfts stand ein langer Tisch, auf dem Gürtel, Mützen
und Taschen lagen, links davon war die Männer-, rechts die Frauenabteilung. Tobias fiel beim Blick auf
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