Vorn
ersten Verabredungen kam am Vorabend von Tobias’ 27.
Geburtstag zustande. Er feierte im Café der Muffathalle und ging mit Emily und ihrer alten Freundin Katja dorthin. Dennis,
Robert und Felix wollten gegen elf Uhr dazukommen. Der Abend |115| wurde ein Fiasko. Wen genau die Schuld traf, hätte er danach nicht genau sagen können, doch die Kombination der Leute ging
nicht auf. Das Verhalten seiner Freunde im
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etwa war eine Bestätigung dessen, was Tobias im Nachtleben schon häufiger an ihnen beobachtet hatte: Ihre ganze Herzlichkeit,
ihre so mitreißende Art kühlte schlagartig ab, wenn die anderen in der Runde nicht ebenfalls Journalisten waren oder zumindest
bekannte Namen des Kulturlebens. Sie machten dann aus ihrem Desinteresse und Gelangweiltsein kein Geheimnis, wandten sich
schnell ab und begannen ein Spezialgespräch unter Kollegen. Tobias hatte das schon einmal miterlebt, als er einen alten Bekannten
in das Wirtshaus mitnahm, in dem die
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- Leute immer die Champions-League-Übertragungen ansahen. Er wurde von den anderen sofort misstrauisch beäugt, weil er einen
langen Pferdeschwanz hatte und selbstgedrehte Zigaretten rauchte. Sie ließen ihn dann auch nicht teilhaben an der allgemeinen
Unterhaltung über das Spiel, behielten ihren
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- Jargon bei, voller Anspielungen und redaktionsinterner Redewendungen, und Tobias begann irgendwann ein Zweiergespräch mit
ihm abseits der Runde. Für viele Journalisten, die er in den Monaten zuvor kennengelernt hatte, gab es im Grunde nur zwei
Sorten von Unterhaltungen: das angeregte, aufgeheizte Reden über die Arbeit mit anderen Redakteuren und das Flirtding mit
Mädchen. Emily und ihre Freundin Katja fielen aus beiden Kategorien heraus, weil sie keine Journalistinnen waren und seine
Kollegen auch als Frauen nicht interessierten.
|116| Die Überheblichkeit der
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- Leute war aber nur der eine Grund dafür, dass der Abend so katastrophal verlief. Denn die Distanz ging genauso auch von Emily
aus. Auf dem Weg in die Muffathalle war sie auf ihre Zweifel an der Zusammensetzung der Geburtstagsrunde zu sprechen gekommen,
hatte Tobias gesagt, dass sie sich in dieser Gesellschaft minderwertig fühle, nicht interessant genug. Und der spätere Verlauf
des Abends zeichnete sich schon gleich bei der Begrüßung ab, in dem leicht verkrampften Zurückweichen, mit dem Emily auf Dennis’
und Roberts Wangenküsschen reagierte. Die Unterhaltung an dem Stehtisch im Muffatcafé ging von Anfang an nur bemüht voran.
In der halben Stunde vor Mitternacht schließlich hatte sich die Runde endgültig in zwei getrennnte Grüppchen geteilt: rechts
Robert, Felix und Dennis, die sich laut lachend über irgendeine Episode auf der Konferenz vom Vormittag ausließen, links Emily
und Katja, die eine nach der anderen rauchten und ihren Blick fahrig im Raum umherschweifen ließen. Tobias stand dazwischen,
beugte sich immer wieder hinüber zu Emily, weil er ahnte, wie unwohl sie sich fühlte, wollte aber gleichzeitig auch unbedingt
wissen, wie die Geschichten weitergingen, die rechts von ihm besprochen wurden. Robert, Dennis und Felix waren gerade bei
der schon häufig diskutierten Frage angelangt, ob man einen Journalisten nett finden durfte, obwohl man seine Texte nicht
mochte. Dennis hatte seinen gewohnt unerbittlichen Standpunkt eingenommen und sagte über einen jungen Autor aus der Zeitung,
der häufig auch im
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Texte anbot: »Nimm doch nur den Gropp vom Feuilleton. Der schreibt doch ständig über genau die Themen, um die es uns auch
geht, |117| über Pop, Fußball, Bücher. Wie soll der als Typ interessant sein, wenn seine ganzen Gedanken über diese Dinge – Entschuldigung
– Müll sind?« Felix widersprach ihm: »Komm, die Art, wie jemand schreibt, ist doch nur eine von 87 Eigenschaften. Eine der
wichtigsten, klar. Aber ich weiß nicht, ob das wirklich gut ist, das so streng zu sehen. Es kann einer doch ein wahnsinnig
schlechter Schreiber sein und trotzdem ein angenehmer Mensch, wenn du dich abends irgendwo mit ihm unterhältst. Und außerdem«,
sagte Felix und nahm Dennis kurz in den Arm: »Ist es nicht anstrengend, wenn du die Messlatte bei Menschen genauso hoch ansetzt
wie bei Texten? Dann gibt’s eh nur noch zwei oder drei Leute, mit denen du wirklich was anfangen kannst.«
Irgendwann ging Emily zur Theke vor und kam mit sechs Gläsern Prosecco zurück. Sie sah auf die Uhr, und um Mitternacht fingen
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