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Vorn

Titel: Vorn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Bernard
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sie und Katja an, »Happy Birthday« zu singen. Anstatt einzustimmen, drehte sich Robert belustigt zu Dennis und Felix und sagte
     nur: »Ach so, verstehe, jetzt soll also auch gesungen werden, oder wie?« Sie sangen dann doch ein wenig mit, unbeteiligt,
     mit kaum geöffnetem Mund, so wie Nationalspieler bei der Hymne im Fußballstadion. Emily und Katja beeilten sich, mit dem Lied
     fertig zu werden, dann stießen alle auf Tobias an, und um zwanzig nach zwölf ging die Runde schon auseinander. In Emilys Wohnung
     hatten die beiden dann einen langen Streit. Tobias warf ihr vor, sich nicht auf seinen neuen Freundeskreis einzulassen, doch
     Emily fing plötzlich an zu weinen, was sie sehr selten tat, und sagte ihm, dass sie das Gefühl habe, er |118| würde sich von ihr entfernen, von ihrem ganzen gemeinsamen Leben.
     
    Ein paar Wochen nach seinem Geburtstag kam Tobias spätabends in Emilys Wohnung. Er war mit Dennis und Robert im Schumann’s
     gewesen, wollte aber bei ihr übernachten, weil beide am Vormittag ausschlafen konnten. Tobias war in seinen Gedanken noch
     ganz bei dem Abend in der Bar, hatte auch vier oder fünf Biere getrunken und war deshalb noch gar nicht richtig angekommen,
     als er sich in Emilys Wohnküche auf einen der Stühle setzte. Er wollte einfach nur schnell ins Bett und freute sich auf das
     gemeinsame Frühstück am nächsten Morgen. Emily saß ihm ein paar Meter gegenüber, in einer anderen Ecke der Küche, und als
     er sich gerade die Schuhe aufmachen wollte, hörte er ihre Stimme: »Du, Tobi, ich muss dir etwas sagen.« Er hatte gar keine
     Zeit, sich über den merkwürdig ernsten, belegten Tonfall Emilys zu wundern, denn sie redete sofort weiter; in seiner Müdigkeit
     und leichten Betrunkenheit nahm er ihre stockenden Worte wahr, als kämen sie von weit her: »Ich sag’s dir jetzt einfach, Tobi,
     ich habe lange überlegt. Aber jetzt, wo ich es gerade endgültig beendet habe … – Also, ich hatte die letzten vier Monate eine
     Affäre mit Lars.«
     
    Wahrscheinlich war genau das gemeint, wenn man von jemandem sagte, dass »eine Welt in ihm zusammenbricht«. Tobias empfand
     nichts in diesem Augenblick, keine Wut, keinen Hass, keine Trauer. Er konnte es einfach nicht glauben, was Emily gesagt hatte.
     Ein solcher Betrug war doch gar nicht möglich zwischen |119| ihnen. Mit Lars von Undone? Mit jemandem aus dem Freundeskreis, den sie die ganzen Jahre über geteilt hatten? Vier Monate:
     Wie oft hatten Emily und er in dieser Zeit die Undone-Leute gesehen, waren gemeinsam im Substanz gewesen, auf Partys, bei
     Konzerten der Band? In seiner Fassungslosigkeit fiel ihm nichts anderes ein, als sie mit Fragen zu überhäufen: »Was heißt
     das genau – vier Monate? Wann hat es angefangen, an welchem Tag?« Sie schüttelte den Kopf, sagte, das wisse sie nicht mehr;
     außerdem sei ja ohnehin alles zu Ende zwischen Lars und ihr. Doch Tobias fing zu rechnen an, ging die Tage Anfang Juni in
     Sekundenschnelle durch. »Es muss nach der Geburtstagsparty bei David gewesen sein«, sagte er plötzlich, »stimmt’s?« Und dann
     noch einmal, viel lauter, als begänne er jetzt erst richtig zu begreifen: »Stimmt’s? Los, sag schon!« Emilys eingeschüchtertes
     Schweigen nahm er als Bestätigung. Er dachte daran, wie er damals um eins, halb zwei nach Hause gegangen war, weil er am nächsten
     Morgen für das
Vorn
- Magazin nach Berlin flog, und sich von Lars und Emily verabschiedet hatte, die noch auf der Hollywoodschaukel in Davids Garten
     saßen. Es zerriss ihn jetzt fast bei der Vorstellung, dass es in dieser Nacht passiert sein musste. Ihre Souveränität als
     Paar, auf die Tobias immer so stolz gewesen war; dass sie nicht die ganze Zeit aneinander hingen wie die vielen Kletten-Pärchen
     in ihrer Umgebung – alles von einem Moment auf den anderen zerstört! Emily hatte sich in ihrem Sessel verschanzt, die Beine
     an den Körper gezogen, und Tobias schrie weiter auf sie ein: »Und, wie oft habt ihr’s gemacht?« Sie sagte nur weinend: »Hör
     doch auf, Tobi, das ist doch jetzt wirklich nicht |120| das, worum es geht?« Doch er brüllte immer wieder »Wie oft? Wie oft?«, und als sie dann doch irgendetwas antwortete, »keine
     Ahnung, was weiß ich, zehn Mal, zwölf Mal«, ging er manisch die letzten Monate durch, versuchte die Nächte zu ermitteln, die
     in Frage kamen. Juni, Juli, August – was war in dieser Zeit alles geschehen? Tobias dachte an die Europameisterschaft, die
     vielen

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