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Vorn

Titel: Vorn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Bernard
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sich Tobias nicht
     sofort von ihr trennte. Und jetzt kam natürlich zur Sprache, was er ohnehin immer schon gewusst hatte: dass beide nicht |123| besonders viel mit Emily anfangen konnten und sie für die falsche Frau für ihn hielten.
     
    Tobias aber konnte Emily nicht verlassen. Er hätte diesen Schritt zwar als konsequent empfunden, ging jetzt auch ohne schlechtes
     Gewissen ständig mit anderen Mädchen aus und schlief in einem Hotel am Lago Maggiore, wo er für die Tageszeitung von einer
     Veranstaltung berichtete, sogar zum ersten Mal seit Jahren wieder mit einer anderen. Doch die Vorstellung, sich von der Frau
     zu trennen, mit der er fast sein ganzes erwachsenes Leben geteilt hatte, schien ihm unmöglich. Es war dann sogar Emily, die
     sich zurückzog und sagte, sie könne jetzt nicht einfach so weitermachen – und zu den wenigen Erinnerungsbildern aus dieser
     Zeit gehörten ihre regelmäßigen Verabredungen in einer Tapasbar in Neuhausen, in der sie darüber redeten, was aus ihnen werden
     sollte. Dieser ungeklärte Zustand muss noch monatelang angehalten haben, denn was Tobias dann erst wieder deutlich im Gedächtnis
     hatte, war der späte Abend des 24. Dezember. Sie trafen sich – wie immer in den vergangenen Jahren – nach den Fondue-Essen
     bei ihren Familien noch in Emilys Wohnung. Es muss das erste Mal gewesen sein, dass sie wieder eine Nacht miteinander verbringen
     wollten. Denn als sie beide vor Emilys Bett standen, konnte Tobias plötzlich den Gedanken nicht ertragen, dass Lars darin
     gelegen haben musste. Mit einem Schlag kam sein ganzer Zorn wieder hoch; er warf die Decken auf den Boden, wollte das Leintuch
     von der Matratze reißen und schrie immer wieder: »Und da habt ihr gefickt, oder, hier, auf diesem Bett habt ihr gefickt?«
     Wie er sich damals wieder beruhigte, |124| ob er in dieser Nacht überhaupt bei Emily blieb – das konnte Tobias nicht mehr sagen. Sie mussten sich dann aber schnell wieder
     versöhnt haben, denn im Frühling waren sie wieder ein Paar.
     
    Die Freundschaft zu den Undone-Leuten dagegen ging nach Emilys Affäre abrupt zu Ende. Tobias hielt seinen Vorsatz monatelang
     ein und begegnete Lars tatsächlich kein einziges Mal, obwohl seine Gewaltphantasien in dieser Zeit nicht nachließen. Beim
     Fernsehen fiel ihm jetzt auch immer auf, dass es kaum eine Serie, kaum einen Film gab, in dem es nicht um dieses Thema ging,
     um Betrug und zerstörte Freundschaften. Erst ein halbes Jahr später hatte Tobias genügend Abstand, um wieder einmal zu einem
     Auftritt von Undone zu fahren, in einen Vorort von München. Im Garten neben dem Konzertsaal sah er beim Reinkommen die Band
     stehen, lachend und Bier trinkend wie immer vor dem Auftritt, doch als er mit rasendem Herzklopfen auf sie zuging und alle
     so normal wie möglich begrüßte, war schon im ersten Moment klar, dass nichts mehr so sein würde wie früher. Die Unterhaltung
     war verlegen und reserviert, ging über »Na, wie geht’s, Tobi, lang nicht mehr gesehen« kaum hinaus, und als sich Tobias dann
     mit Marius an einen Tisch setzte, entnahm er seinen Reden, dass sich die Band seit der Affäre immer mehr zerstritten hätte
     und vielleicht sogar bald ganz aufhören würde. Das Konzert – das letzte, das er jemals sah von Undone – verließ Tobias dann
     schon nach der Hälfte der Lieder.

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    An einem Montag Anfang Oktober – Tobias war seit etwa zwei Jahren beim
Vorn
- Magazin – musste er für den Kulturteil der Tageszeitung, für den er jetzt regelmäßig Artikel schrieb, auf eine wissenschaftliche
     Tagung fahren. Abends im Hotelzimmer telefonierte er, wie immer, wenn er auf Reisen war, als Erstes mit Emily und erzählte
     ihr von der Konferenz, von der entwürdigenden Art, mit der ein paar der Referenten ihn davon zu überzeugen versuchten, sie
     in seinem Artikel namentlich zu erwähnen. Später rief ihn Dennis, dem er vor der Abreise noch seine Hotel-Telefonnummer gegeben
     hatte, von der Redaktion aus an. (Seit es die neuen ISDN-Anlagen im
Vorn
gab, konnte Tobias zu Beginn des Gesprächs immer erkennen, ob Dennis den Büroapparat benutzte. Da er vor dem Wählen zuerst
     die Lautsprechertaste drückte und nur dann den Telefonhörer abnahm, wenn sich jemand meldete, kam es immer zu einer kurzen
     Verzögerung, bevor Dennis seinen Namen sagte – es war der Moment, in dem er die Lautsprechertaste ausschaltete und zum Hörer
     griff.) Sie unterhielten sich über Neuigkeiten in der

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