Vorn
den hinteren Teil der Bar betraten – die Tische auf der linken Seite waren zu einer langen Geburtstagstafel zusammengeschoben
–, hatten die vielleicht zwanzig Gäste gerade begonnen, sich auf die Plätze zu verteilen. Es entstand ein unübersichtliches
Gedränge, einige schoben die Tische zur Seite |134| und setzten sich auf die lange Lederbank, die anderen nahmen sich einen der Stühle in der Mitte des Raumes.
Als Tobias etwas verzögert reagierte und sich einen Stuhl suchte, bemerkte er, dass nur noch ein einziger frei war, etwas
abseits, am Rand der Tafel. Er setzte sich hin, um sich herum eine Reihe von Filmleuten und Kinokritikern, die er nicht kannte,
und auf einmal entdeckte er Sarah und Dennis, die schräg gegenüber auf der Bank in der Mitte der Runde saßen und sich eindringlich
unterhielten. Tobias durchfuhr es beim Anblick der beiden. Er wusste ja von Sarah, welche Bedeutung er dieser Sitzkonstellation
beimessen konnte. Und er beobachtete den aufmerksamen, gewinnenden Gesichtsausdruck von Dennis, den er mittlerweile so genau
kannte. Wie er sich in seinem neuen Helmut-Lang-Sakko zu Sarah herüberbeugte (in der Anzugswertung stand es jetzt schon vier
zu zwei für Dennis), wie er ihr zuhörte, lächelte, irgendetwas antwortete. Das war Dennis: Es gab kaum einen anderen Menschen,
der seinem Gegenüber im Gespräch ein derart angenehmes Gefühl vermittelte, der so gut auf den anderen eingehen konnte. Tobias
hörte ihn lachend »genau, ganz genau« sagen oder »unfassbar«, dann erzählte er eine offensichtlich sehr amüsante Anekdote,
denn auch Sarah fing zu lachen an, auf ihre umwerfende Art. Dennis war bester Dinge, wie immer eigentlich – und wahrscheinlich
hing es mit der leisen Eifersucht Tobias’ in diesem Augenblick zusammen, dass ihm diese konstant gute Laune plötzlich auf
die Nerven ging. War es nicht so, dass es im Gespräch mit Dennis eigentlich nie zu einem Moment der Unstimmigkeit kam oder
zumindest |135| einer befremdlichen Pause? Dennis hatte das Talent, sich ganz auf den anderen einzustellen, die eigenen Standpunkte notfalls
ein wenig im Hintergrund zu belassen, um den reibungslosen Ablauf der Unterhaltung nicht zu gefährden. Tobias glaubte auf
einmal zu wissen, dass dieses Vorgehen mit den ganzen Interviews zusammenhing, die Dennis im
Vorn
Woche für Woche führte. Interviews, vor allem mit Prominenten, waren sein Spezialgebiet, und bei diesen Treffen kam es ja
gerade darauf an, den Gesprächsfaden nicht reißen zu lassen, Stockungen zu vermeiden, um dem Interviewpartner in der begrenzten
Zeit so viele interessante Geschichten wie möglich zu entlocken. Und diese Taktik, so dachte Tobias nun, war Dennis derart
in Fleisch und Blut übergegangen, dass er mittlerweile auch jedes private Gespräch so anging wie ein Prominenten-Interview
– immer bedacht auf das Gelingen, auf den Ertrag, so als würden dieselben journalistischen Verwertungsregeln gelten wie für
seine vielgelobten Beiträge im
Vorn
. War er nicht einfach nur ein virtuoser Gesprächsdarsteller? dachte Tobias in einem kurzen Anflug von Groll. Er sah nun,
wie Dennis Sarah den umsitzenden Gästen vorstellte, einigen Kulturredakteuren der Tageszeitung und bekannten Größen aus der
Münchner Filmbranche, die mit Philipp Nicolai befreundet waren. Natürlich sah es in diesem Moment so aus, als wäre sie Dennis’
neue Freundin. Auf einmal trafen sich Sarahs und Tobias’ Blicke, nur für einen ganz kurzen Moment, doch er hatte das Gefühl,
dass in diesen Zehntelsekunden in rasanter Geschwindigkeit ein ganzer Dialog zwischen ihnen durchgesprochen wurde. »
Zufall
, oder, Sarah?« – »Ich weiß schon, |136| was du jetzt denkst.« – »Na, was soll ich anderes denken? Ist doch klar, wir haben ja lange darüber gesprochen. Das hättest
du jetzt nicht so deutlich bringen müssen.« – Wie ihre letzte Antwort lautete, ob sie ihm zustimmte oder eher sagen wollte,
dass das entgegen ihrer Thesen in dem
Vorn
- Artikel wirklich reiner Zufall gewesen war, dass sich diese Sitzordnung ergeben hatte, konnte er ihrem Blick nicht mehr entnehmen.
Denn in dem Moment kamen schon Konrad und Milan an den Tisch, mit einem riesigen Tablett voller Gläser und zwei Flaschen Champagner
– »Schampus«, wie Milan in solchen festlichen Momenten spöttisch in die Runde zu rufen pflegte. Die beiden Kellner schenkten
die Gläser ein und verteilten sie unter den Gästen.
Tobias’
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