Vorn
wohltuendes
Vibrieren, wenn er an Sarah dachte. Sie hatte ihm am Freitagabend in der Redaktion noch gesagt, dass sie am Samstag im Atomic
Café sein würde, einem neuen Club in der Innenstadt, der in den ehemaligen Räumen des Sonic eröffnet hatte. Tobias wusste,
dass er nach dem Konzert noch irgendwie dorthin kommen musste, und zwar am besten alleine. Das leichte Ziehen im Bauch, wenn
er sich vorstellte, Sarah in ein paar Stunden zu sehen, machte das |142| vertraute Zusammensein mit Emily aber nicht weniger schön. Es war merkwürdig, doch die Empfindungen traten nicht in Konkurrenz
zueinander, konnten beide für sich bestehen. Nach dem Konzert trafen sie vor der Halle Robert Veith und seine neue Freundin
Claudia, die auf dem Weg ins Atomic waren. »Geh doch noch mit, Tobi, ich bin schon ziemlich müde«, sagte Emily zu ihm, »du
kannst ja später noch zu mir kommen, dann können wir morgen zusammen frühstücken.« Sie gab ihm auch ihren Autoschlüssel, da
sie, wie sie meinte, ein Bier zu viel getrunken habe. Emily verabschiedete sich und ging die Treppe hinauf Richtung S-Bahn-Station,
während Robert, Claudia und Tobias die schmale Anfahrtsstraße zum Backstage zurückliefen, wo die Autos standen.
Das Atomic Café war wie an jedem Freitag und Samstag nach Mitternacht auf grandiose Weise überfüllt. Wenn man nach dem Bezahlen
in dem kleinen Vorraum zur Tür hereinkam, entsprach die Atmosphäre sofort auf mustergültige Art dem Bild einer frenetischen
Clubnacht. Die kleine Tanzfläche in der Mitte hatte sich im Lauf der Stunden immer weiter ausgedehnt und nahm jetzt den ganzen
Raum ein. Tobias war aufgeregt. Würde er Sarah hier begegnen? Er entschuldigte sich bei Robert und Claudia, die an der Garderobe
ohnehin gleich in ein Gespräch verwickelt wurden, und ging nach links oben zur vorderen Bar, weil er Sarah dort vermutete.
Sie waren sich am Freitag einig gewesen, dass das der beste Platz im Atomic sei. Und tatsächlich – sie war da! Er sah sie
sofort; sie stand an der Bar und hatte gerade eine Runde Gin Tonic für sich und ihre beiden |143| Freundinnen bestellt. Sarah begrüßte ihn mit strahlendem Blick, sie schien sich wirklich über sein Kommen zu freuen. Sie verteilte
die Getränke, und wie selbstverständlich setzte sie sich mit ihm auf das Sofa neben der Treppe, auf dem gerade zwei Plätze
frei geworden waren. Die Unterhaltung war dann, wie immer mit Sarah, vom ersten Moment an in Gang. Es gab zwischen ihnen nie
einen Moment des Zögerns oder das zähe Gefühl, man hätte sich gerade nichts zu sagen; sie waren sofort an einem interessanten
Punkt, und immer wieder passierte es, dass die Unterhaltung nach einem Gedankensprung auf einen neuen Gegenstand überging
und Tobias sich vergeblich vornahm, später noch einmal auf das vorige Thema zurückzukommen. Sie redeten über Sarahs Londoner
Zeit, ihre Begeisterung für diese Stadt; sie fragte, wie es bei Stereolab gewesen war, die sie auch sehr mochte, und beide
überlegten, wer die tollste der drei Sängerinnen sei. (Sarah entschied sich für die kleine dunkelhaarige, die ein paar Jahre
später bei einem Fahrradunfall ums Leben kam.)
Sarah war aufgedreht, vielleicht auch ein bisschen betrunken, und Tobias musste ständig in ihre leuchtenden grünen Augen schauen.
Er hatte die Aufmerksamkeit für die Augenfarbe eigentlich immer als Mangel empfunden, denn wenn er wirklich von einem Mädchen
eingenommen war, blieb ihm diese Einzelheit nicht in besonderer Erinnerung. Doch in dem Moment schien es Tobias, als hätte
er grüne Augen noch nie bewusst wahrgenommen. Sie kamen ihm auf einmal wie eine vollkommene Synthese aus den beiden gewöhnlichen
Augenfarben vor, aus dem Frischen, Klaren der blauen und |144| der Wärme der braunen. Als Tobias vorschlug, noch zwei Gin Tonic an der Bar zu holen, berührte Sarah ihn ganz kurz am Handgelenk
und meinte, das sei eine gute Idee. Beim Aufstehen hörte er dann, wie eine ihrer Freundinnen, die inzwischen neben dem Sofa
standen, Sarah zuflüsterte: »Ist er das jetzt, dein Redakteur?«, und sie nickte. Sie hatte also offensichtlich schon von ihm
geredet, von
ihm
und nicht von Dennis. Als Tobias mit den Gläsern zurückkam, vertieften sich die beiden Mädchen sofort wieder in ihre Unterhaltung.
Tobias spürte, dass die Zeichen unmissverständlich waren. Ihr Erzählen nun war fast nur noch ein schönes Hinauszögern, eine
verlängerte Vorfreude auf den
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